Besser als nichts: Düsseldorf macht digital Musik und Theater
Man ist ja froh, dass sich irgendetwas rührt. Man möchte nicht gemein sein in diesen Zeiten, und man möchte es unbedingt schön finden, was die Theater und Konzerthäuser jetzt als digitales Notprogramm produzieren. Leider sind die technisch und atmosphärisch eher dünnen Aufnahmen kein Kino und nur mit Geduld und Hingabe zu genießen. Versuchen wir’s mal mit der Tonhalle und dem Düsseldorfer Schauspielhaus.
Dass das „Konzert in den Mai“ aus der Tonhalle live gestreamt, konserviert und als Zwei-Stunden-Datei bei YouTube bis Sonntagnachmittag schon 8995 mal angeklickt wurde, hat etwas Rührendes. Axel Kober dirigiert unter anderem Strauss und Händel, und Michael Becker, der eloquente Intendant des Hauses, moderiert gewohnt charmant für das unsichtbare Publikum. Doch es sitzen auf der Bühne mit gehörigem Sicherheitsabstand nicht mehr als zwölf Musiker – kein echter Klangkörper. Am Rand schwebt die Stimme der Sopranistin Heidi Elisabeth Meier mit „Solveigs Lied“ von Grieg, und da ist wenig Verbundenheit.
Leere Reihen, leere Momente
Denn was uns fehlt, ist das Knistern des Augenblicks, die Dimension des Raums, die leisen Geräusche und Bewegungen der Anderen, das individuelle Hören und Sehen. Die starren Kameras zeigen zwar eine realistische Parkettperspektive, sie wechseln sogar zwischendurch die Blickrichtung und zeigen den Dirigenten vor leeren Stuhlreihen, aber das offenbart nur die Leblosigkeit der Veranstaltung. Und anders als in Wirklichkeit empfindet man Pausen, Umbauten und verordnete Reinigungsmaßnahmen als leere Längen.
Das ist auf der Website des Düsseldorfer Schauspielhauses anders, wo es kurze, eigens für diesen Zweck inszenierte Videos gibt. So hat der Schauspieler Jonas Friedrich Leonhardi, der jetzt eigentlich im „Unterhaus“ Büchners „Lenz“ präsentieren sollte, einen zehnminütigen Ausschnitt der Erzählung zu Hause aufgenommen. Man sieht dem jungen Mann erschreckend direkt in die blauen Augen und ins bleiche Stubenhocker-Gesicht. „Lenz (at home)“ spricht im Kleiderschrank, zwischen leeren Flaschen am Küchenboden, unter der Dusche in der Wanne. Passt durchaus, denn, so weiß man ja von Büchner: „Es war ihm alles so klein, so nah, so nass“. Das hat durchaus einen schrägen Witz.
Fast wie im richtigen Leben
Schwieriger wird es in dem ehrgeizigen Video-Projekt „zeitfüreinander“, mit dem die Nürnberger Staatstheater-Regisseurin Anne Lenk ihre Bühne mit dem Deutschen Theater Berlin, dem Schauspiel Hannover, dem Münchner Residenztheater und dem Düsseldorfer Schauspielhaus vernetzt hat. Fünf männliche und fünf weibliche Mitglieder der Ensembles improvisieren auf einer erfundenen, mit schicker Werbung ausgestatteten Dating-Plattform das digitale Kennenlernen. Wie 2014 in Jan Schüttes Fernsehfilm „Altersglühen“ wechseln die Partner alle fünf Minuten im Speed-Dating-Takt, und die Schauspieler haben zwar Vorgaben zu Charakter und Absicht ihrer jeweiligen Figur, müssen den Text aber frei improvisieren. Da gibt es viel „Äh“ und hilfloses „Hallo, hallo“ in unscharfen Home-Videobildern. Ganz wie im richtigen Leben eben. Nur, dass man von der Kunst doch mehr erwartet.
In der ersten Runde, am 1. Mai gestreamt aus Berlin, traf die Düsseldorfer Schauspielerin Judith Bohle als Mascha auf den rasanten Rotweintrinker Tobias (Camill Jammal vom Münchner Residenztheater) und schockte den Kandidaten mit dem Satz: „Ich steh nicht auf Sex.“ In der zweiten Runde, die am Samstagabend (2. Mai) Premiere auf der Homepage des Düsseldorfer Schauspielhauses hatte, winkt Tobias mehr Glück bei der schönen Pilotin und Kuscheltiersammlerin Colette, während Mascha sich ganz gut mit einem Münchner Hals-Nasen-Ohren-Arzt (Tjark Bernau) versteht. Und tatsächlich entsteht durch den Wechsel doch eine Art Neugier, und die Schauspieler scheinen lockerer zu werden. Gucken wir mal weiter …
Wo man was sehen kann:
Das Video „Lenz (at home)“ ist neben etlichen anderen Angeboten, Ankündigungen und virtuellen Führungen auf der Homepage des Düsseldorfer Schauspielhauses unter www.dhaus.de zu sehen. Die von der Regisseurin Anne Lenk inspirierte und von fünf Theatern produzierte Webserie „zeitfüreinander: Dating in Zeiten von Social-Distancing“ wird jeweils nach der Premiere der einzelnen Runden unter www.zeitfuereinander.com ins Netz gestellt (Videos anklicken). Das „Konzert in den Mai“ ist auf YouTube zu sehen. Link: https://www.youtube.com/watch?v=3CLLeNu4_Rk&feature=youtu.be