Die junge Kunst will Kunden finden: Akademie-Doppelschau in Düsseldorf
Irgendetwas muss es ja sein, was die Düsseldorfer Bürgerschaft am alljährlichen Rundgang der Akademie so unwiderstehlich anzieht. Geduldig steht man in der Warteschlange vor dem Eingang, um in komfortfreien Klassenräumen die Kunstübungen von über 600 Studierenden anzusehen – mit Neugier, mit Geduld. Vielleicht ist es ja das Gefühl, noch zum Neuen zu gehören, nah dran zu sein, forever young. Und es ist die Erwartung des Großen, denn die ehrwürdige Schule hat ja noch das Flair der Berühmtheiten, die sie hervorbrachte – von Schadows Malerschule bis zu den Topstars des 20. Jahrhunderts wie Beuys, Richter, Uecker. Allerdings sind die legendären Zeiten vorbei. Die aktuelle Kunst möchte vor allem eins: ins Geschäft kommen. Das merkt man an der Hochschule und im K21, wo die Absolventen von 2019 ihren Auftritt haben.
„Open Source“ nannte Michael Dikta in der Klasse Piller das hochgebogene Dielenbrett.
„Wohin geht die junge Künstlergeneration?“ Rektor Karl-Heinz Petzinka, ein eleganter Architekt, bemerkt einen „konstruktiven, optimistischen Umgang“ mit den großen Themen unserer Zeit. Mit anderen Worten: Man will nichts Naives produzieren, aber auch nichts allzu Kompliziertes, Problembeladenes. Tatsächlich gibt es so etwas wie eine neue Lust am Hübschen und Witzigen. Auf einem Video im Akademie-Flur flattert ein weißes Segel vor blauem Himmel, und gleich vorne, in der Klasse der Bildhauerin Rita McBride, gibt es was zu schmunzeln vor Rebecca Grundmanns Krawattenskulptur „Sitzung“.
Schwelgen in Farben und Formen
Munter geht es fort in einen frisch getünchten Raum mit weit offenen Fenstern, wo Yaël Kempf für frische Luft sorgt: „Open it“ heißt das und wird gut gelaunt registriert. Mit offenen Augen wandert das Publikum durch die Etagen und spielt gern mal mit, läuft durch das mysteriöse Wartezimmer der Schneider-Klasse und lässt in der Klasse Grünfeld die Stahltüren des Holzgangs von Tassilo Lautermann („8 m Ruhe“) konzeptgemäß knallen. Die Provokationen sind nicht allzu gewagt, sie haben eher etwas Skurriles wie die beiden hochgebogenen Bodendielen, die Michael Dikta in der Klasse Piller zur „Open Source“ erklärt hat.
Witz darf sein: Alexandro Böhme baute mit Kommilitonen eine Kunstkneipe aus Sperrmüll, das „Tölke Eck“.
Mit Begeisterung entdecken die Besucher das „Tölke Eck“, eine dunkel getäfelte Kunstkneipe, die ein Trio aus der Anzinger-Klasse in drei Wochen aus allerlei Sperrmüll gebaut hat, als wär’s ein echtes Ambiente. Einer der Drei, Alexandro Böhme, zeigt dort seine Holzschnitte. Denn der Professor Siegfried Anzinger (heute 66), ehemals ein Neuer Wilder, ist vor allem Maler. Die meisten seiner Studenten arbeiten klassisch an der Leinwand und schwelgen in Farben und Formen. Meisterschüler Omar El Lahib gestaltet eine ganze Wand mit seinen Bildern, Lara Rottinghaus präsentiert heiter-nachdenkliche Alltagsszenen und malt ein nettes Girl beim Bier im „Schaukelstühlchen“.
Schwebende Installation: die „Gebetsbilder“ von Jana Zatvarnická im K21.
Wie es euch gefällt
Wer mehr attraktive neue Kunst sehen will, sollte ins K21 gehen, wo, „In order of appearance“ (in der Reihenfolge ihres Auftretens) die 77 Absolvent(inn)en des Akademie-Jahrgangs 2019 ausgesuchte Werke zeigen. Schon zum zweiten Mal hat Susanne Gaensheimer, die Direktorin der Kunstsammlung NRW, das weite Untergeschoss des Ständehauses für dieses Experiment geöffnet. Dreimal will sie der Sache eine Chance geben und, „wenn es dann von allen gewollt wird“, könnte eine jährliche Tradition daraus werden. Nun, allen kann man nie gefallen. Aber warum soll die renommierte Landesgalerie nicht hin und wieder in ihrem zeitgenössischen Haus die ganz aktuelle Kunst präsentieren? Es handelt sich bei der Akademie ja keineswegs um einen lokalen Talentschuppen, sondern um eine weltberühmte und international aufgestellte Schule.
Aus acht Ländern kommen die jungen Meister (und natürlich Meisterinnen) der von Agnieszka Skolimowska und Linda Walther inszenierten Ausstellung, und tatsächlich merkt man, dass die mitteleuropäische Ästhetik gefühlvoll erweitert wurde. Ein fast folkloristisch buntes Bild wie die Mexiko-Szene des Amerikaners Bradley Emerson passt eher nicht zu den strengen Maßstäben der alten Avantgarde. Die ganze Schau hat das, was Rektor Petzinka „eine Frische“ nennt – und ist auf jeden Fall spannender und vielfältiger als manche puristisch konzipierte Ausstellung.
Kunst mit dem Raum: Jake Madel verkleidete den Eckturm mit seinen Acrylbildern. Daneben: ein Performance-Video und Gemälde von Nicholas Grafia.
Gefühlswelt der Landschaft
Gleich vorne schweben im Kreis die berückenden „Gebetsbilder“ der Slowakin Jana Zatvarnická. Auf der anderen Seite zeigen Marco Biermann und Tomas Kleiner (der im vorigen Jahr bereits als Konzeptkünstler im Kaiserteich tauchte) die Relikte ihrer Performance „Medusa floating body“. Eine Insel aus Luftmatratzen (Hinlegen erlaubt) befindet sich gleich unter einem von einer Drohne gefilmten Video, auf dem man sieht, wie die mutigen Jungs auf Luftmatratzen ein Stück rheinabwärts treiben, vorbei an Krefeld und Duisburg. „Auf ungelenkte Weise“ wollte man zu neuen Ufern der Sehnsucht gelangen, wurde aber von Rettungsbooten und behördlichen Auflagen vorzeitig gestoppt.
In der Malerei sind der neuen Romantik keine Grenzen gesetzt. Lukrezia Krämer, die unter dem Titel „Noah“ eine lila bewegte Sintflut malte, spricht von den „Gefühlswelten der Landschaften“. Gegenüber ihrem Seestück hängt in strahlendem Sonnenlicht ein hübscher lesender Knabe („reading boy“) von Robin Weuste, und steht hinten unterm Baum etwa flirrend ein Pferd mit Menschenbüste – ein Centaur? Auf jeden Fall ist da eine Sehnsucht nach Arkadien. Lisa-Maria Feike lässt eine Gruppe Naturliebhaber am Wasserfall „In der Gauchachschlucht“ baden, und Kaori Hiraiwa folgt den alten Impressionisten mit seinem Bild „auf dem Felsen“.
Küssendes Riesenpaar von Joscha Bender im Gang neben dem Bild „auf dem Felsen“ von Kaori Hiraiwa.
Alte Technik, neue Möglichkeiten
Auch der Liebe ist man leidenschaftlich auf der Spur. Der junge Bildhauer Joscha Bender hat ein gewaltiges, beim Küssen verschmelzendes „Paar (III)“ in Gips und Marmor geformt. Andere Kommilitonen üben sich subtil in alten Techniken, von Lisa Seidel stammen drei winzige Köpfe in Kaltnadelradierung, der aus Griechenland stammende Bühnenbildner Fivos Theodosakis entwarf mit einer Serie von Aquarellen eine Kafka-Kulisse.
Aber es gibt natürlich auch das modernere Spiel mit Technik und Installation. Die Japanerin Maya Shirakawa konstruierte eine digitale Collage („pigs, birds, snakes“) mit nackten Puppen, Dessous, Pierrot und einem Hauch von Erotik. Ein Team namens „Konstitutiv der Möglichkeiten“ baute mit Stellwand, Barhocker, Bast-Sonnenschirm und Humor ein „Traumhaus“, während Rosa Sarholz die runden Fenster des hinteren Saals geheimnisvoll mit Worten aus der Kabbala versah: „ALA ALEPH ATMAN“. Auch der amerikanische Maler Jake Madel hat die Vorgaben des Raums genutzt und einen der Ecktürme über und über mit Acrylmalereien bedeckt: „Deep Sting“, tiefer Stich oder Biss, heißt das, aber in der Schau tut nichts weh. Laura Aberham feiert die Farbe mit einem großen abstrakten Bild („Breaking Blue“), und die Kunstkäufer werden sicher interessiert sein.
Neue Romantik: Lukrezia Krämer malte eine lila Sintflut unter dem Titel „Noah“.
Was, wann und wo?
Der Rundgang an der Düsseldorfer Kunstakademie, Eiskellerstr. 1, ist nur noch am Wochenende geöffnet (bis Sonntagabend, 9. Februar, jeweils 10 bis 20 Uhr). Die Kunst der Absolventen des Jahrgangs 2019 kann man noch bis zum 8. März „In order of appearance“ in der Kunstsammlung NRW, K21, Ständehausstr. 1, sehen. Geöffnet Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. www.kunstsammlung.de