Das Düsseldorfer Schauspielhaus feiert 50. Geburtstag mit Brechts Galilei
Häppchen gab’s zum Glück genug. Immer neue Platten mit raffinierten kleinen Köstlichkeiten schleppten die neue Theatergastronomin Veronika Schillings und ihr Team ins Foyer-Gewimmel. Tapfer lächelnd. Die heftig plaudernden Herrschaften stürzten sich darauf und bekamen auch noch freien Wein oder ein Sprudelwasser. Schließlich galt es, zwischen Festakt und Premiere im überhitzten Saal wieder zu Kräften zu kommen. 50 Jahre Schauspielhaus – ein ebenso prickelndes wie anstrengendes gesellschaftliches Ereignis. Die große Party hat begonnen.
Verheißungsvoll leuchtet die LED-Wand am restaurierten Eingang.
Nicht wenige Gäste des Jubiläumsabends waren selbst zugegen, als der geschwungene Bau des kühnen Architekten Bernhard Pfau (1902-1989) am 16. Januar 1970 eröffnet wurde. Oder in den Tagen danach. Und sie haben, so Intendant Wilfried Schulz, „ihre eigene Geschichte des Schauspielhauses im Kopf“. Ach ja – man weiß es noch genau, wie zu Zeiten von Karlheinz Stroux gemeckert wurde über die bürgerliche Elite in ihrem Betonpfannkuchen mit Schießscharten und wie 1976 mit dem jungen Günther Beelitz der erste Manager-Intendant einzog – mit neuen, herrlich umstrittenen Ideen. Man war womöglich dabei, als Beelitz im Sommer 1978 mit der Truppe und dem Freundesverein durch die Sowjetunion reiste, um Schiller, Brecht und Kindertheater zu spielen. Gegen den Kalten Krieg. Und als er im Winter die ersten Experimente mit fremden Spielorten machte und „Die Räuber“ (mit dem späteren Hollywoodstar Jürgen Prochnow als Franz) in der Alten Messe inszenieren ließ. Wilde Zeiten.
Der einzigartige Augenblick
Heute regt sich kein Abonnent mehr über „Faust to go“ oder einen rockigen Hamlet auf. Ein breiteres, auch jüngeres Publikum wird erreicht. Und das Schauspielhaus ist, wie Ministerpräsident Armin Laschet in seiner launig-engagierten Festrede feststellte, zu einer „Ikone der modernen Architektur geworden“. In der Tat: Sollte jemand die 60 Millionen Euro für die Sanierung für rausgeschmissenes Geld halten, so behält er’s für sich. Die meisten freuen sich über das Wachsen einer neuen Stadtmitte neben dem glänzend restaurierten Dreischeiben-Haus mit den neuen Bauten des Kö-Bogens, die sich zum Theater hin öffnen und es präsentieren wie eine Verheißung.
Laschet hatte dafür mehr übrig als die üblichen Grußworte. Er sprach von der „Magie des Theaters“, das den „einzigartigen Augenblick“ feiert und uns dabei hilft, „die Grundlagen des Zusammenlebens zu reflektieren“. In diese Institution zu investieren, ist ihm wichtig in Zeiten eines Populismus, der Geld und Gesinnung kontrollieren will: „Wir lassen uns die Freiheit der Kunst nicht kaputtmachen!“ Applaus, Applaus!
Mittelpunkt der Stadtgesellschaft
Durch eine Flugverspätung des ewig eiligen Oberbürgermeisters Thomas Geisel, der nachmittags bei einem Empfang im Buckingham Palace war und auch noch das Theater als „Mittelpunkt der Stadtgesellschaft“ preisen wollte, verzögerte sich der Festakt. Die folgende Premiere wurde deshalb kurzerhand um eine gute halbe Stunde verschoben. Man durfte Luft schnappen, diskutierte erwartungsgemäß über die (wie berichtet) neu hinzugefügten Designer-Vorhänge im Foyer, fand sie scheußlich oder kuschelig oder doch ganz schön. Auf jeden Fall dämpfen die Stoffe den Schall des großen, freudig erregten Gebrabbels. Als es gegen 20 Uhr zur Vorstellung klingelte, musste man sich einen Ruck geben, um sich erneut zu konzentrieren – auf Brecht pur, gut zwei Stunden lang, pausenlos.
Freudiges Gewimmel: Es blieb kein Platz frei beim Jubiläumsfest.
Regisseur Lars-Ole Walburg (55), Ex-Intendant des Schauspielhauses Hannover, freischaffend zwischen München, Wien und Zürich, hat keine Brecht-Show aus dem „Leben des Galilei“ gemacht, sondern mit minimalistischer Strenge inszeniert. Auch wenn, begleitet von dem Cellisten Matthias Hermann, kurze, zackige Versionen der originalen Hanns-Eisler-Songs dazugehören, liegt doch der Fokus auf dem Wort. Dem klaren Wort des Bertolt Brecht, das er am Vorabend des verheerenden Kriegs 1939 im dänischen Exil niederschrieb, „inmitten der schnell wachsenden Finsternis über einer fiebernden Welt“.
Die Forderungen der Vernunft
Und wir sollten sehr gut zuhören, denn das Fieber steigt schon wieder, und der Glauben an Verschwörungstheorien gehört wie das Leugnen von Fakten zu den Problemen unserer Gegenwart. Am Beispiel des italienischen Gelehrten Galileo Galilei (1564-1642), dessen Beweise für die verpönten Thesen des Kopernikus das kirchliche Weltbild erschütterten, hinterfragt Brecht das Verhältnis von Politik und Moral. Die Tatsache, dass die Erde nur ein kleiner, um die Sonne kreisender Planet ist, wurde damals erfolgreich unterdrückt. Aus Angst um sein Leben (Kollege Giordano Bruno war verbrannt worden) ließ sich Galilei auf einen öffentlichen Widerruf ein – und verriet den eigenen Anspruch, unbedingt der Wahrheit zu dienen. „Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein“, der berühmte Satz dient auch heute noch als Mahnung.
Ein großer Schauspieler, Burghart Klaußner, spielt den Galilei im Jackett des 20. Jahrhunderts. Er ist kein malerischer Renaissance-Gelehrter, sondern ein moderner, sehr genauer Lehrer, der die Dinge mit großer Genauigkeit nicht nur seinem kleinen Schüler Andrea (Lea Ruckpaul) erklärt, sondern auch dem Publikum – so wie Brecht es wollte. Ganze Regieanweisungen werden mitgesprochen, dafür fehlt es an Requisiten. Es soll keine Illusion entstehen, keine erzählerische Atmosphäre. Emotionale Distanz fördert das kritische Denken. Wir haben verstanden.
Auf dem Bild: Die Gelehrtern im Collegium Romanum Cennet Rüya Voß, Jonas Friedrich Leonhardi, Rosa Enskat, Thomas Wittmann, Lea Ruckpaul, Janko Kahle, Glenn Goltz mit Galilei (Burghart Klaußner), Foto: Sandra Then
Der Blick auf die Wahrheit
Und so wechseln die Nebendarsteller mit Hilfe von Kleinigkeiten mal eben die Aufgabe, Galileis naive Tochter Virginia (Cennet Rüya Voß) wird mit einem steifen Kragen zur Hofdame, mit einer Skelettmaske zum Pestbeschwörer. Nur er selbst und sein größter Widersacher, der Kardinal Inquisitor, bleiben immer in ihrer Rolle. Dass der Inquisitor von einer schönen kühlen Frau im festlichen Frack, Tabea Bettin, mit heuchlerisch sanften Tönen gespielt wird, sorgt für die nötige Entfremdung. Auf der leeren Bühne von Olaf Altmann steht der Forscher allein im Lichtkegel der Erkenntnis unter einem gigantischen schwarzen Teleskop, das ihm den Blick auf die Wahrheit ermöglicht. Eine Wahrheit, die ihn so beschwingt, dass er mit seinen Anhängern tanzt. Doch sie werfen dabei unheilvolle Schatten an die Wand.
Am Ende versinkt das Teleskop im Dunkeln, Klaußners Galilei krümmt sich am Boden, doch er rappelt sich noch einmal auf, und es besteht die Hoffnung, dass er seinem enttäuschten Schüler Andrea heimlich eine Abschrift seiner „Discorsi“ mitgibt. Tatsächlich setzte sich die Wahrheit bald durch. Doch, man will es kaum glauben, erst 1992 schaffte es die römisch-katholische Kirche, Galileo Galilei formal zu rehabilitieren. Und der Machtkampf zwischen Glauben und Wissen wird wohl niemals entschieden sein.
Cennet Rüya Voß mit Rosa Enskat und Jonas Friedrich Leonhardi, Foto: Sandra Then
Noch mehr Jubiläum
Über das weitere Programm wurde bereits berichtet. Mittelpunkt ist der Tag der offenen Tür am Samstag, 18. Januar, ab 16 Uhr mit einem offenen Programm für die ganze Familie. Für einige Vorstellungen in der nächsten Woche (wie „Dantons Tod“ am 21. Januar oder „Henry VI & Margaretha di Napoli“ am 24. Januar) gibt es zur Feier des Jubiläums jeweils 50 Karten zum Sonderpreis von zwei Euro. Das Jubiläumsbuch „Fünfzig“ kommt für 30 Euro in den Buchhandel. Nähere Informationen und Tickets unter www.dhaus.de