„Henry VI“ am Düsseldorfer Theater: Wehe, wenn die Ladies kommen!
Dieses Mordsdrama will eigentlich keiner mehr sehen. „Heinrich VI.“ – das sind drei ausgewachsene Tragödien mit je fünf Akten, die der junge William Shakespeare und sein Team zwischen 1589 und 1592 für das Showgeschäft ihrer Zeit schufen. Wer das historische Game of Thrones heutzutage an einem Abend spielen will, muss den Riesenstoff beherzt straffen und umgestalten. Für das Düsseldorfer Schauspielhaus hat das der belgische Autor, Performer und intellektuelle Spaßvogel Tom Lanoye besorgt. Sein Spektakel um „Henry VI & Margaretha di Napoli“ in der Regie von David Bösch ist der neueste Erfolg des Düsseldorfer Schauspielhauses, D’haus genannt. Es gab Standing Ovations.
Gestraffter Klassiker: Shapespeares Tanz um Macht und Manipulation.
Der Mann kennt sich aus mit dem englischen Klassiker. Vor 20 Jahren reüssierte Tom Lanoye bei den Salzburger Festspielen und im Hamburger Schauspielhaus mit einer zwölfstündigen Mammut-Show aus acht verschiedenen Shakespeare-Dramen („Schlachten!“). Düsseldorfs jetziger Intendant Wilfried Schulz war damals sein Dramaturg und weiß Lanoye als „großen Sprachspieler“ zu schätzen. Nun, vor allem ist der Flame kein scheuer Grübler wie der bedauernswerte König Heinrich. Die Düsseldorfer Party-Stimmung selbst auf der ewigen Baustelle Schauspielhaus scheint ihm zu gefallen: „Düsseldorf is the rock’n roll of Germany“, rief er den Premierengästen beim Einführungsplaudern zu. Yeah, man!
Köpfe rollen, Kunstblut spritzt
Nach etwa drei Stunden war dem Publikum nicht nur heiß, weil die Klimatechnik im halbwegs sanierten Pfau-Bau immer noch nicht so richtig funktioniert. Das Königsdrama endet in einem Massakerspiel. Köpfe rollen, Kunstblut spritzt, es gibt kein Erbarmen. Dabei erweisen sich die Frauen im Ensemble, denen Lanoye einen dominanten Rang verschafft hat, als professionelle Schwertkämpferinnen. Wehe den Herren, wenn die Ladies kommen! Aber keine Angst, wir sind hier nicht im Actionkino. Das Stück und die Inszenierung behandeln die literarische Vorlage zwar nicht schüchtern, aber mit höchstem Respekt. Es wird, wie der Intendant zu Recht sagt, „der Geist eines großen Shakespeare-Dramas“ gewahrt.
Sonja Beißwenger ist die Minna Wündrich in großer Robe und weiß ihren Einfluss auf den kleinen Heinrich (André Kaczmarczyk) zu nutzen.
Am Anfang kniet André Kaczmarczyk noch als kleiner Heinrich in kurzen Hosen vor dem Grab von „Papa“ Henry V. Ein rührender Knabe, der die Welt nicht versteht und mit der Puppe im Arm von der blonden Jungfrau von Orléans träumt, die Englands Feindin ist, doch für ihn ein Idol. Heinrichs Frömmigkeit und seine kindliche Sehnsucht nach Frieden, Liebe, Aussöhnung werden ihn zu einem schwachen König in der Epoche der sogenannten Rosenkriege machen. Sein wohlmeinender Onkel und Reichsprotektor Gloster (Rainer Philippi) wird ihn nicht lange beschützen können. Von Anfang an trachtet der Feldherr York (Jan Maak) nach dem Thron, und jede Figur auf den sieben Klappstühlen des Thronrats verfolgt eigene Interessen. Bühnenbildner Patrick Bann hat eine gewaltige eiserne Krone mit scharfen Zacken als Menetekel über den weitgehend leeren schwarzen Raum gehängt. Der Theaternebel wallt zur suggestiven Musik von Karsten Riedel und schafft die passende Grusel-Atmosphäre.
Der Auftritt der furchterregenden Frauen
In Lanoyes Shakespeare-Adaption sind es auch und gerade die Frauen, die Macht wollen – auch wenn sie keine Chancen haben. In dieser Produktion spielen sie die Boys an die Wand. Selbst Publikumsschätzchen Kaczmaczyk als Heinrich sieht dagegen blass aus. Die zarte, aber markante Sonja Beißwenger ist seine Co-Titelheldin Margaretha di Napoli, die italienische Braut aus Paris, die sich zwar gleich auf eine Amour mit dem stürmischen Unterhändler Suffolk (Sebastian Tessenow) einlässt, aber auch den braven König zu schätzen weiß – nicht nur politisch. Mit schneidender Entschlossenheit beteiligt sie sich an höfischen Intrigen und besiegt eine andere starke Frau: Heinrichs „Tantchen“ Leonore, die ihn bisher erzogen und taktisch ausgenutzt hat. Minna Wündrich in Renaissance-Robe beherrscht die Gefühlsbalance zwischen Härte und Herzlichkeit.
Lieke Hoppe bekniet als Kampfwesen André Kaczmarczyk.
Den größten Auftritt aber hat Lieke Hoppe, die gleich drei Nebenrollen aufleben lässt. Zunächst ist sie eine von Angst und Todesmut getriebene Jungfrau von Orléans, dann ein naiver Prinz von York und schließlich, im furiosen Finale, ein Bösewicht aus einem weiteren Shakespeare-Drama: Richard das Ungeheuer, späterer „Richard III.“, Yorks jüngster Sohn, der missgebildet auf die Welt kam und sich dafür an all den Wohlgeratenen rächte. Lieke Hoppe gibt diesen Kerl als geschlechtsloses Kampfwesen, mit bandagierten Verletzungen, bebend vor Aggressivität, die aus Verbitterung kommt. Sich selbst beschimpfend – „Hackfresse!“ – brüllt dieser Richard nach der Macht. Ein aktueller Jargon, vom Autor zwischen tadellosen Versen zurückhaltend eingesetzt, macht deutlich, was wir gern verdrängen: Shakespeares Monsterseelen leben immer noch mitten unter uns.
Mehr Spektakel mit Shakespeare
„Henry VI & Margaretha di Napoli“ nach William Shakespeare von Tom Lanoye in der Regie von David Bösch wird im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz gegeben. Nächste Vorstellungen: 28. Dezember, 3. und 8. Januar. Karten unter www.dhaus.de
Fotos: D’haus, Sandra Then