Düsseldorf: Deniz Yücel erzählt im zakk aus seinem Buch „Agentterrorist“
Lesereise? Seine Frau Dilek hätte da gleich gezweifelt, grinst Yücel. „Wie ich dich kenne, wirst du reden, reden, reden …“ sagt sie. So war es denn auch, und so direkt, spannend, mitreißend, als wäre dieser Termin in Düsseldorf der erste und einzige überhaupt für Deniz Yücel. Dabei sind es an dem Abend sogar zwei hintereinander, an denen er sein Buch „Agentterrorist“ vorstellt, eine Geschichte, so der Untertitel, über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie. Auch eine Liebesgeschichte. Die Menschen stehen Schlange vor dem Kommunikationszentrum in Flingern.
Deniz Yücel bei seiner Lesung am Donnerstagabend, Foto: zakk
Bereits seit zwei Monaten Deniz Yücel auf Lesereise an vielen Orten, sogar in der JVA Moabit. In jedem recherchiere er, erzählt er, ob es damals Reaktionen auf die Bewegung „Free Denzis“ gegeben habe. In Düsseldorf? „Eine Demonstration vor dem niederländischen Konsulat dafür, dass ich zu Recht im Gefängnis säße. Ach ja, und ein Bericht über eine Karnevalssitzung, bei der sich eine junge Frau einen Schnäuzer angeklebt das Motto im wahrsten Sinn zur Brust genommen habe.
Moderator Philipp Holstein versucht diplomatisch, die Düsseldorfer ein bisschen in Schutz zu nehmen, indem er augenzwinkernd erklärt, Karneval sei doch auch eine Form von Liebe „habe ich gelernt, als ich nach Düsseldorf gezogen bin.“ Überhaupt gibt der Moderator an dem Abend den klugen, zurückhaltenden Stichwortgeber, der dem temperamentvollen Kollegen die Bühne überlässt.
Petersilie für die Pressefreiheit
Spitzbübisch packt Holstein seine „Stichworte“ auf den Tisch: Haribo Saure Pommes (Yücels ins Gefängnis geschmuggeltes Überlebensmittel) und ein Petersilien-Töpfchen – das wahre Zeichen der Liebe, gebunden in Yücels Hochzeitsstrauß bei der Trauung im Gefängnis und schließlich in freien Händen bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis, als er seine Frau Dilek umarmt. Das Foto, das um die Welt ging, ziert den Klappentext seines Buches.
Weltweit waren die Reaktionen heftig auf die Inhaftierung des Korrespondenten der „Welt“ im türkischen Hochsicherungsgefängnis Silivri Nr. 9. Es gab zahlreiche Solidaritätskundgebungen auf den Straßen der Städte und auf politischer Ebene sogar eine schwere diplomatische Krise. Yücel: „Sperrst du einen weg, machst du allen Angst.“
Das Foto ging um die Welt und ist auch dem Buchrücken abgedruckt: Deniz Yücel bei seiner Freilassung
„Ich wusste, dass es gefährlich war“, erklärt Yücel seinen Entschluss, als türkischstämmiger Korrespondent nach Istanbul zu gehen. Und seufzt: „Ich glaube, das war mir klarer als meiner Chefredaktion.“ Während des Putschversuchs 2006 ging er auf die Straße in Istanbul: „Ich war doch nicht hergekommen, um aus dem Internet zu berichten.“ Da seien Journalisten noch einzeln verhaftet worden, „später busweise“. Er selbst war dann irgendwann zur Fahndung ausgeschrieben, tauchte dank seiner guten Beziehungen ab in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters. Es sei schwer gewesen, einen Anwalt zu finden, der vom Fach war (Medien) und mutig war und: nicht selbst im Knast saß.
Warum war er eigentlich festgenommen worden? Agentterrorist? Der Journalist: „Ich habe meinen Job gemacht“ – und betont: „Journalismus ist kein Verbrechen.“ „Ich war auf die Bundesregierung angewiesen“ erklärt Yücel seine Situation nach der Inhaftierung. Angela Merkel, die damals mehrmals in der Türkei war, wurde eingeschaltet, „aber es geschah nichts“.
"Zu gefährlich"
Im zakk erzählt Yücel auch kleine Begebenheiten. Da war zum Beispiel die Pizza-Frage. Ob er sich nicht mal eine Pizza bestellen könne, er müsse es ja nicht unter seinem Namen machen. Antwort der Anwälte: „Nein, zu gefährlich.“ Die Frage wurde nach Berlin weitergeleitet – mit dem gleichen Ergebnis.
Das Schlimmste, außer Zahnschmerzen, die nicht behandelt werden konnten („zu gefährlich“): „Ich konnte spazieren gehen, hatte Netflix, aber ich konnte nichts allein entscheiden.“ Das sei im Gefängnis eher besser gewesen „Es geht nicht darum, gefangen zu sein, sondern darum, dass man sich nicht ergibt.“ Doch dazu fehlten ihm anfangs „Stift und Papier“. Erste Schreibversuche mit einer in rote Soße getauchten abgebrochenen Gabel, später mit geklautem Kuli in Bücher wie „Der kleine Prinz“, die ihm genügend Weissraum rund um die eingestreuten Zeichnungen ließen.
Deniz Yücel las nicht nur aus seinem Buch, es gab viele Geschichten drum herum
Schreiben als Überlebenskunst. Die Texte erreichen seinen Arbeitgeber, erschienen in der Welt. Eine weltweite Solidaritätsbewegung kommt in Gang. Yücel: „Es geht nicht darum, gefangen zu sein, sondern darum, dass man sich nicht ergibt.“
Deniz Yücel, ein Gefangener, der sein Publikum gefangen nimmt. Auch bei der Lektüre seines Buches. „Cool, aber nicht zu cool“ findet Holstein es. Humor spielt dabei eine große Rolle. Yücel in Düsseldorf: „Das, was man nicht ändern kann, kann man immer noch auslachen“.
Das Buch
Deniz Yücel „Agentterrorist“ Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie, Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten, 22 Euro.