Gott und die Welt: „Die Entdeckung des Himmels“ am Düsseldorfer Schauspielhaus
Der Titel klingt vertraut: „Die Entdeckung des Himmels“. War ja mal ein Bestseller in den frühen 90er-Jahren. Aber, Hand aufs Herz, wer hat den Roman des niederländischen Schriftstellers Harry Mulisch (1927-2010) schon so richtig ordentlich durchgelesen? Sind schließlich 865 Seiten mit einer ziemlich krausen Geschichte über Vorsehung, Sex, Tod und die Auflösung des Pakts zwischen Gott und den Menschen. „Da fragt man sich, wie das gehen soll auf der Bühne“, scherzte vor der deutschen Erstaufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus der Dramaturg Robert Koall. Und die Antwort ist: mit wunderbarer Leichtigkeit, in der Regie des ehemaligen Burgtheater-Intendanten Matthias Hartmann.
Max Delius (Moritz Führmann), Onno Quist (Christian Erdmann) und Seraph (Serkan Kaya)
Einhellig ist Begeisterung nie. Vereinzelte Besucher ergriffen in der Pause die Flucht, ein paar strenge Intellektuelle murrten, das sei doch alles viel zu schön. In der Tat wird da oben gezaubert – mit zarter Musik (Karsten Riedel), suggestiven Projektionen, einem kosmischen Rad und tausend glitzernden Sternen im Bühnenbild von Volker Hintermeier. Aber kitschig wird es dennoch nie, dank Sarkasmus und Minimalismus. Den Akteuren genügen ein paar Stühle und kleine Requisiten für die Darstellung turbulenter Lebensgeschichten, die laut himmlischer Fügung zur Zerstörung der bestehenden Ordnung führt.
Hoffnungslos, aber nicht ernst
Die Welt ist am Ende des Teufels, der göttliche Funke erlischt, die meisten Figuren der Handlung hat’s eh schon dahingerafft. Mulisch erzählt von den Todsünden der Menschheit und von ihrem Untergang, ohne den Humor zu verlieren. Um den alten Gag noch einmal zu gebrauchen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Mulisch konnte das Erhabene mühelos mit dem Banalen verbinden. Er redete mit Engelszungen über Kosmos und Kommunismus, jüdisch-christliche Geschichte, wilde Amouren und die Plastiktrauben an der Decke einer Pizzeria. Er war ein Entertainer – wenn auch mit einem Hang zur Überlänge. Auch das Stück dauert lang, mit Pause sind es fast viereinhalb Stunden, aber wer sich darauf einlässt, ist verzaubert wie ein Kind, das eine sehr spannende Gute-Nacht-Geschichte hört.
Der Engel Seraph (Serkan Kaya) mit Cherub (Andreas Grothgar)
Und genauso ist das Buch in Szene gesetzt: als Geschichte, originalgetreu. Die Prosa wurde nicht zwanghaft in ein Drama verwandelt, sie wird genutzt, gewürdigt, in Ehren gehalten. Die Figuren sprechen die wesentlichen Teile des Mulisch-Textes, meist im Imperfekt. Das Szenische ergibt sich dabei von selbst. Das sechsköpfige Ensemble präsentiert die Erzählung in ihren Kernstücken, wechselt manchmal lustvoll die Rollen, hat oft ein atemloses Tempo und bewältigt so das gewaltige Format an einem Abend.
Was der Engel einfädelt
Serkan Kaya als Seraph ist (unter anderem) der aufgeregte Engel, der seinem Vorgesetzten Cherub (wie ein Art-Direktor mit himmelblauer Brille: Andreas Grothgar) und „dem Chef“ alles recht machen will. Er setzt mit vertrackter Planung eine Konstellation in die Welt, die zur Zeugung eines blauäugigen Jünglings führt, der die Bindung von Gott und den sündhaften Menschen am Ende beenden soll. Schlüsselfiguren sind zwei vom seraphischen Zufall zusammengeführte Freunde. Moritz Führmann, blondiert, gescheitelt, mit geschniegeltem Temperament, ist Max Delius, ein Beau und Womanizer, Sohn einer im Holocaust umgebrachten Jüdin und eines dem NS-Regime dienlichen Vaters und damit sehr nah an Mulisch selbst. Christian Erdmann, groß, kräftig, doch ganz Gefühl, spielt Onno Quist, einen schrulligen Schriftenforscher und erfolglosen Sohn eines reaktionären Polit-Patriarchen.
Cherub (Andreas Grothgar) mit Max Delius (Moritz Führmann) und Onno Quist (Christian Erdmann)
Innerlich zerrissen von heimlicher Trauer, Schuld und Sehnsucht finden sich Max und Onno. Beide verlieben sich plangemäß in dieselbe Frau, eine Cellistin. Onno heiratet sie. Anna-Sophie Friedmann spielt diese Auserwählte mit einer fraulichen Weichheit und Innigkeit, die man unter den kantigen Protagonistinnen im modernen Schauspiel oft vermisst. In einer sinnlichen kubanischen Nacht wird Ada mit beiden Männern schlafen. Und obwohl sie schon bald dem Tode geweiht ist, wird sie noch den Anti-Erlöser gebären: Quinten, Sohn von Wer-weiß-wem.
Wohin fliegt die Fantasie?
Der knabenhafte Jonas Friedrich Leonhardi gibt den von Träumen getriebenen Jüngling mit starrem Blick und fieberhaften Monologen. Als Quinten wird er seinen Auftrag erfüllen, ohne ihn zu verstehen. Beim Showdown in Rom und Jerusalem muss er nach dem Willen des zornigen Gottes die wundersam erhaltenen Tafeln mit den zehn Geboten rauben und zertrümmern. Mit den losgelösten leuchtenden Buchstaben wird er verschwinden im Wer-weiß-wo.
Quinten (Jonas Friedrich Leonhardi, links) mit Onno Quist (Christian Erdmann) und seiner Frau (Anna-Sophie Friedmann, mitte)
Die Projektionen auf der Bühne verdichten sich, die Fantasie der Zuschauer fliegt mit den flüchtigen Bildern aus Licht über die Welt, himmelwärts oder in den Höllenschlund. Und auch, wenn man die Konstruktion von Mulischs Epos völlig überladen, pathetisch und bekloppt findet – diese Inszenierung rührt an Herz und Seele. Man darf gebannt sein, sich aufregen, und lachen darf man zwischendurch auch. Großer Beifall für richtig gutes Theater!
Tickets und Informationen
Der Roman „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch wurde von Matthias Hartmann für das Düsseldorfer Schauspielhaus, genannt „D’haus“, in Szene gesetzt. Die nächsten Vorstellungen der Produktion im Großen Haus sind am 24. November und 8. Dezember 2019. Karten unter www.dhaus.de
Fotos: Thomas Rabsch