Das Junge Schauspiel Düsseldorf rappt mit Sophokles: Antigone for Future
Oh nee, „Antigone“? Sophokles? Antike Tragödie in Hölderlins klassischer Übersetzung? Das klingt nach Theater für Bildungsbürger und bleischwerem Lernstoff für Oberschüler. Aber das Junge Schauspiel Düsseldorf hat daraus eine Show gemacht, ein Spiel mit Tanz, Musik und coolen Raps – zur Feier des menschlichen Gewissens, des Muts, der Würde, der Nächstenliebe. Anderthalb Stunden lang lauschten die jungen Zuschauer gebannt und applaudierten dann begeistert dem Team um die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof, die zwar schon 64 ist, aber die Jugend versteht.
Haimon (Eduard Lind) mit "Tante" Kreon (Natalie Hanslik)
Das bedeutet nicht, dass Frau Liesbeth anbiedernd arbeitet. Die Teenager von heute sollen sich durchaus um einen Stoff bemühen, der 2500 Jahre alt ist, und sie sollen gefälligst dem Text zuhören, den Friedrich Hölderlin 1804 übersetzte. Wie heißt es da? „Aber Gegenwart ist blind, wenn sie nicht weiß, woher sie kommt.“ Und so wird auch die Vorgeschichte der Tragödie erst mal klar zusammengefasst – mit einem „Yeah!“
König Kreon ist eine Karrierefrau
Man muss ja wissen, dass die Familie von Antigone, dem Mädchen aus der Metropole Theben, immerzu unschuldig schuldig wurde. Ihr Vater Ödipus tötete ahnungslos seinen ihm unbekannten Vater Laios, heiratete dessen Witwe, seine eigene Mutter, Iokaste, und stach sich, als er die Wahrheit erfuhr, vor Gram die Augen aus. Seine vier erwachsenen Kinder sind nun dem Verderben geweiht. Denn die Söhne Eteokles und Polyneikes haben einander im Bürgerkrieg um die Macht in Theben getötet, die Schwestern Antigone und Ismene bleiben verzweifelt zurück. Ihr Onkel Kreon, der in dieser Inszenierung eine Tante, „Queen“ und kühle Karrierefrau (Natalie Hanslik) ist, hat den Thron bestiegen, nur den Polyneikes ehrenvoll bestatten lassen und die Leiche des Rebellen Polyneikes den Vögeln und Hunden zum Fraß überlassen. Wer sich dagegen auflehnt, riskiert die Todesstrafe.
Selin Döretkardes als Antigone mit Eduard Lind als ihr Vetter Haimon
Antigone nun, von Selin Döretkardes als empfindsam-zorniges Girl gegeben, bedeckt den Leichnam des Bruders mit Staub. Sie wird ertappt und verurteilt, obgleich sie Kreons Nichte und die Braut ihres sanften Vetters Haimon (Eduard Lind) ist. Kreon meint mit Business-Attitüde, nur durch gnadenlose Konsequenz für Disziplin und Ordnung sorgen zu können.
Noëmi Krausz, Aylin Celik und Selin Dörtkardeş
Schon wieder was Schlimmes?
Der antike Chor, der bei Sophokles das Drama kommentiert, wird im Jungen Schauspiel ersetzt durch die Rapper Aylin Celik und Ugur Kepenek alias Busy Beast, die in krassen Klamotten eine klare heutige Sprache für die alte Weisheit finden: „Wir werden nicht klüger, Brüder kämpfen gegen Brüder …“, singt Ugur, und bei Aylin klingt’s manchmal etwas schwieriger: „Meine Zeit ist obsolet, wenn die Welt nicht mehr versteht.“ Der Beat geht in den Körper, auch das Publikum fühlt sich ein bisschen hiphop, und alle sind bestens gelaunt, weil der Machtmensch Kreon einlenkt, nachdem Jonathan Gyles den Seher Teiresias als tragischen Clown gegeben hat. Aber es gibt bekanntlich kein Happy End. „Schon wieder was Schlimmes?“ lautet die bange Frage. Ja, leider, die Tragödie nimmt ihren Lauf. Eine Rettungsaktion kommt zu spät, Antigone hat sich erhängt, ihr Liebster Haimon folgt ihr in den Tod. Mutter Kreon muss an der eigenen Schuld verzweifeln: „Weh! Weh!“
Das alte Drama in moderner Fassung
Obwohl die Action bei „Antigone“ nur in Erzählungen vorkommt, lässt Regisseurin Coltof keinen Moment der Rezitier-Langeweile aufkommen. Die erheblich gestraffte und modern ergänzte Textfassung, Klang, Projektion und eine straffe Choreografie reißen die Aufmerksamkeit mit. Die jungen Leute des Ensembles, mit Narben als Versehrte einer gewalttätigen Zeit gekennzeichnet, sind mit Enthusiasmus und Disziplin dabei. Sie verschaffen nicht nur Schulklassen, sondern auch etlichen älteren Fans einen leichteren Zugang zu dem alten Drama. Und gerührt hört man den neuen Schluss-Satz, der Noëmi Krausz als Ismene gehört: „Kämpft um euer Leben, bevor andere es bestimmen!“ Antigone for Future.
Wann und wo?
Die „Antigone“ des Sophokles in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin mit Rap-Texten von Aylin Celik und Ugur Kepenek wurde von Liesbeth Coltof für Zuschauer ab 14 Jahren inszeniert. Karten für die Vorstellungen im Jungen Schauspiel an der Münsterstr. 446 gibt es unter www.dhaus.de
Fotos: David Baltzer