Düsseldorf: 131 Tote des Novemberpogroms 1938 allein in NRW – ein Gedenkbuch zeigt die Biografien auf
Fast zwei Jahre haben die Mitarbeiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte in Archiven geforscht, Unterlagen verglichen und Fakten geprüft. Das Ergebnis ist im "Gedenkbuch für die Toten des Pogroms von 1938" zusammengefasst. Darin wird nicht nur verdeutlicht, dass die bisher angenommene Zahl von reichsweit 100 oder 500 Toten deutlich zu niedrig angegeben wurde. Auch die Einzelschicksale werden mit Biografien vorgestellt.
Armin Laschet zeigte sich beeindruckt von der Arbeit der Mahn- und Gedenkstätte
Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, war zur Vorstellung des Buches "Gedenkbuch für die Toten des Pogroms 1938 auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen" zum ersten Mal in der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte an der Mühlenstraße und zeigte sich beeindruckt über die Ausstellung und die Arbeit die dort geleistet wird. In seinem Grußwort stellte Laschet die Überlegung an, ob der 27-jährige Täter von Halle vielleicht eine andere Sicht entwickelt hätte, wenn er die Gedenkstätte besucht und von den vielen Einzelschicksalen erfahren hätte. Das Land NRW hat das Projekt des Gedenkbuchs gefördert und dafür gesorgt, dass es in das Programm der Landeszentrale für politische Bildung aufgenommen wird. "Das Gedenkbuch ist eine Mahnung, wie weit Hass und Hetze gehen können. Unsere Demokratie und unsere Gesellschaft müssen gegen Antisemitismus, gegen Hass und die Parolen der Rechtsextremisten verteidigt werden. Das ist Aufgabe für uns alle. Die gemeinsame Botschaft an alle, die Antisemitismus verharmlosen oder verbreiten und Jüdinnen und Juden in unserem Lande bedrohen, lautet: Nie wieder!" so der Ministerpräsident.
(v.l.) Dr. Bastian Fleermann, Armin Laschet, Immo Schatzschneider, Hildegard Jakobs, Gerd Genger und Thomas Geisel bei der Vorstellung des Buches
"Das Gedenkbuch und das landesweite Forschungsprojekt zeigen einmal mehr, wie wichtig und wertvoll die Arbeit unserer Mahn- und Gedenkstätte ist: Mit dem Projekt konnte erstmals umfassend beleuchtet werden, welches grausame Ausmaß die Pogromnacht in NRW in Wirklichkeit hatte – ein viel größeres als bisher angenommen. Zudem gibt die Gedenkstätte mit dem nun erschienenen Buch jedem Opfer, jedem Schicksal ein Gesicht und ein angemessenes Gedenken. Für diese großartige Arbeit möchte ich mich bei dem Team bedanken", so Oberbürgermeister Thomas Geisel bei der Vorstellung.
Dr. Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, erläuterte, wie akribisch für die 263 Seiten recherchiert wurde, die an die Opfer des Novemberpogroms erinnern. Im Rahmen eines NRW-weiten Forschungsprojektes trugen Gerd Genger, Hildegard Jakobs, Immo Schatzschneider und Dr. Bastian Fleermann die Informationen aus hunderten Archiven und Gedenkstätten zusammen. Zu einem großen Teil kamen die Informationen von lokalen Akteuren und bürgerschaftlichen Initiativen. Schülerprojekte und Hinweise aus örtlichen Gedenkstätten, Stadtarchiven, Jugendgruppen oder Geschichtswerkstätten lieferten Puzzleteile, die von den Autoren zusammengeführt wurden. Neben den zerstörten Synagogen und den Verwüstungen von Wohnungen, Ladenlokalen oder Arztpraxen in der nach vom 9. auf den 10. November 1938, standen auch die Gewaltakte gegen jüdische Menschen im Mittelpunkt der Untersuchungen. Zumeist konnte rekonstruiert werden, welche Personen durch Mord, schwere Verletzungen, Schock oder Suizid ihr Leben verloren hatten.
Das Buch ist im Drosteverlag erschienen, hat eine Auflage von 2.500 Stück und kostet 19,80 Euro
Entstanden ist ein Andenken an die mindestens 131 Männer und Frauen, die aufgrund der Novemberpogrome auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen ihr Leben verloren. "Bei der Recherche und der Zusammenstellung der Opfer ist deutlich geworden, dass unser Verständnis und auch die Darstellung der Pogromnacht in Wissenschaft und Unterricht einer starken Bagatellisierung der Ereignisse gleicht: Sehr viel mehr Menschen wurden ermordet oder in den Selbstmord getrieben, als man bisher annahm", so Gedenkstättenleiter Fleermann.
Die Aufarbeitung für Nordrhein-Westfalen könne Vorbild für andere Bundesländer sein, wünscht sich Fleermann, der sich wünscht das Pilotprojet würde Nachahmer finden. Ziel könnte sein, dass die Bundesrepublik und Österreich in Zukunft alle Toten der Novemberpogrome identifizierten.