„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus: Frauen mitten im Nervenzusammenbruch
Es gibt kaum große Rollen für Frauen, klagt dieses Stück. Und sorgt zugleich heftig für Abhilfe. Die aufstrebende britische Autorin Penelope Skinner hat „Linda“ geschaffen, ein Drama über eine alternde Managerin und ihre Töchter und Rivalinnen. Die Heldin ist eine Frau, die, wie einst Shakespeares König Lear, ganz irre wird vor Ambition, Enttäuschung und unheiligem Zorn. Allerdings geht es um den Wahnsinn der alltäglichen Gegenwart, mit banalen, vertrauten Konflikten. Hauptdarstellerin Claudia Hübbecker sorgt bei der deutschen Erstaufführung im Kleinen D’haus dafür, dass Lindas Leid dem Publikum richtig schön auf die Nerven geht. Sie spielt sich die Seele aus dem Leib.
Das konnte man schon am Freitag sehen und fühlen – bei der zweiten Hauptprobe, die ein inspiriertes Publikum anzog. Immer mehr Leute, die keine Zeit oder nicht genug Geld für die Premiere haben und/oder lieber eine lockere Atmosphäre mögen, wissen die frischen, noch nicht ganz fertigen Voraufführungen zu schätzen. „Es können Dinge schief gehen“, bemerkte Dramaturg Frederik Tidén vorsichtshalber, das eine oder andere wird noch ausprobiert, und die Schauspieler verbeugen sich beim Applaus nicht: „Das ist eisernes Theatergesetz.“ Aber das Ensemble unter der Regie von Marius von Mayenburg sorgte für höchste Anspannung.
Der Untergang der älteren Dame
Das 2015 entstandene Stück mit seinen realistischen Figuren und seiner beispielhaft konstruierten Gesellschaftskritik wurde in London und New York bereits mit Erfolg aufwändig in Szene gesetzt. Wir sehen die schlichte Version, Mayenburg verzichtet auf die im anglo-amerikanischen Showgeschäft übliche erzählerische Ausstattung. Er lässt alles auf einer weitgehend leeren weißen Bühne (Stéphane Laimé) spielen, mit einem Kühlschrank und zwei Riesenteddys im Abseits. Das Ambiente formt sich aus dem Gesagten. Oder dem Geschrienen.
Siegesgewiss
Claudia Hübbecker, mager, muskulös und langhaarig, ist die ideale Besetzung für diese 55-jährige Linda, die sich, mit Disziplin und Entschlossenheit, in einem Kosmetikkonzern zur „Senior Brand Managerin“ hochgearbeitet hat. Perfekt sieht sie aus in ihrem schwarzen Designer-Jumpsuit mit High-Heels. Immer noch hat Linda, wie sie betont, dieselbe Kleidergröße wie vor 15 Jahren. Und siegesgewiss präsentiert sie eine neue Produktlinie für Frauen in reifem Alter, die nicht unsichtbar werden wollen. Doch der Chef, ebenso jovial wie brutal (Wolfgang Michalek), setzt lieber auf den jungen Markt – und auf eine 25-jährige Produktmanagerin, die „neue Akzente“ und „frischen Wind“ bringen soll.
Der böse Zwang zur Perfektion
Literarisch ist das nicht besonders wertvoll, aber sehr nah am Leben selbst. Man kann sich schon jetzt die Oscar-gekrönte Verfilmung vorstellen. Denn Autorin Skinner, die selbst bei der Entstehung des Stücks erst Mitte 30 war, lädt ihrer Hauptfigur mit gnadenlosem Kalkül auch noch andere gesellschaftsrelevante Konflikte auf. Kaum kommt Linda frustriert zu früh nach Hause, da muss sie feststellen, dass ihr braver, nett singender Lehrer-Ehemann Neil (Thiemo Schwarz) einer scharfen jungen Sängerin in seiner Freizeit-Rockband zu nah gekommen ist. Das Girl kommt ihr ohne Hosen in der eigenen Küche entgegen. Vergeblich versucht die Betrogene, die Verzweiflung mit hysterischer Contenance zu zügeln. Und damit nicht genug: Wie sich herausstellt, gehörte Lindas Büro-Konkurrentin Amy (Hanna Werth) vor zehn Jahren zu den gemeinen Mitschülern, die ihre Tochter Alice (intensiv: Lea Ruckpaul) durch das digitale Verbreiten von intimen Fotos nachhaltig traumatisiert haben. Problem Cyber-Mobbing. Das Mädchen läuft seither nur noch in einem Stinktier-Kostüm herum, beziehungs- und arbeitsunfähig.
Angst vor dem Versagen
Aber, hey, Miss Skinner setzt noch einen drauf, um es so flapsig wie das Stück zu sagen. Auch Linda, die den Kampf um ihre Karriere so schnell nicht aufgibt, wird von Amy mit einem intimen Foto endgültig ausgeknockt. Sie hat sich hochnervös auf ein Techtelmechtel mit dem esoterisch bewegten Büroboten Luke (Chris Eckert) eingelassen. Das ist nicht ganz glaubhaft, treibt aber die Story auf ihr gewalttätiges Ende hin. Vorher kommt allerdings auch noch die böse Amy zu Wort, und wir erfahren, dass sie auch nur aus Angst vor dem Versagen handelt und dass die Frau von heute mit Beruf, Familienidyll und dem innerlich-äußerlichen Zwang zur Hochleistung völlig überfordert ist. Ach, wie gut, dass man sich zwischendurch im Theater entspannen kann, während sich die Schauspieler verausgaben! „Linda“ ist eine Produktion, die niemanden gleichgültig lässt und sicher für viel Diskussionsstoff sorgt.
Premiere am Sonntag
Die deutschsprachige Erstaufführung von „Linda“ von Penelope Skinner hat am morgigen Sonntag, 3. November, im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses Premiere. Übersetzung: Katharina Pütter. Regie: Marius von Mayenburg. Karten für kommende Vorstellungen unter www.dhaus.de
Foto: D’haus, Thomas Rabsch