Experimente im Düsseldorfer D’haus: Erst lernen, dann chillen
Nun, meine Damen und Herren, das müssen Sie einsehen: Auf Dauer kann sich das Düsseldorfer Schauspielhaus, keck D’haus genannt, nicht auf seine alten Bildungsbürger verlassen. Die sterben bald aus, neues Publikum muss her. Und so lässt Generalintendant Wilfried Schulz zwischen den herkömmlichen Premieren allerlei experimentelle Formate ausprobieren. Zum Beispiel die monatliche Lecture-Performance, eine schräge Art von Vorlesung unter dem Titel „Embracing Realities“ (Realitäten umarmen), kombiniert mit dem „Safe Open Fun Space“, dem sicheren offenen Spaßraum.
Soll zum „Fun Space“ werden: das Schauspielhaus-Foyer.
Noch ist das heilige, denkmalgeschützte Pfau-Theater am Gründgens-Platz eine bespielte Baustelle, wo die aufgerissenen Wände und lose hängenden Kabel wie immer neue Kunstinstallationen aussehen. Irgendwie krass, ein paar hübsche junge Besucherinnen kichern aufgekratzt. Es ist nach 20 Uhr, auf der großen Bühne sorgt gerade der „Spaßpartei“-Gründer Martin Sonneborn für „Krawall und Satire“, im Kleinen Haus zeigt Helene Hegemanns „Bungalow“ ein erschütterndes Bild der Gesellschaft. Die Girls und wir wollen aber ins Unterhaus, um dort bei der Lecture die Realitäten zu umarmen. Zutritt ist erst bei Beginn um 20.30 Uhr, „das gehört zur Performance“, teilt man uns mit.
Bitterballen mit Senf
Hier geht’s zum Unterhaus: zugiger Eingang.
Nun zieht es ziemlich an der Treppe, die zum neuen „Unterhaus“ führt, der einstigen kleinen Probebühne des Schauspielhauses. Zum Glück kann man zuvor im großen Foyer lustwandeln und bei der vielversprechenden neuen Gastronomie Schillings, die demnächst auch das Restaurant nebenan eröffnet, drei Bitterballen mit Senf für günstige 2,90 Euro probieren. Zum Beispiel. Man gibt sich Mühe in der Improvisation, das erwünschte junge Publikum darf auch Jever Fun aus der Flasche nuckeln. Aber nicht wie im Programmkino mit nach unten nehmen! „You can’t take your drink downstairs“, wird weltläufig kommuniziert.
Experimentalgebiet: das Unterhaus des Theaters.
Dann geht es endlich abwärts durch einen krimitauglichen kalten Flur zum schwarz ausgekleideten Kellertheater. Es erscheint ein lässiger Bursche mit einem geblümten Einkaufswagen (das ist das Performancehafte), aus dem er Manuskript und Laptop zieht. Fadi Abdelnour, geboren 1978 in Jerusalem, hat im deutschen Osten Kommunikationsdesign studiert, ist heute freier Grafiker in Berlin und Leiter des Arabischen Filmfestivals ALFILM. Ein voll integrierter Kulturschaffender also, wenngleich er die These vertritt, dass der Westen nach wie vor von Eurozentrismus und einem vorurteilsbeladenen Orientalismus geprägt sein.
Was ist das typisch Arabische?
Zum Beweis zeigt er Fotos von kitschig dekorierten Restaurants und erregt einige Heiterkeit mit dem Geständnis, dass er das typisch Arabische selbst nicht kennt. Dann wird’s ernst, und er zeigt eine 2005 gedrehte Filmcollage „Planet of the Arabs“ von Jacqueline Reem Salloum, die mit Kurzszenen aus alten Actionstreifen nachweisen soll, wie rassistisch der westliche Blick auf den Orient immer noch ist. Wir überlegen kurz, dass bei einem entsprechenden Zusammenschnitt die Deutschen-Darstellung im internationalen Kino ebenso übel aussehen würde (lauter Nazis). Aber wir sagen natürlich nichts, sondern nehmen zur Kenntnis, dass der hiesige Kulturbetrieb kaum nichtweiße Menschen, „people of colour“, wie Abdelnour sagt, präsentiert und anspricht. Das, mein Lieber, kann man an diesem Abend wirklich nicht behaupten.
Kultur-Baustelle: Fadi Abdelnours Plakat im aufgerissenen Wandelgang.
Aber ehe beim anschließenden „QnA“, das sind questions and answers, früher Publikumsgespräch, womöglich ein Misston aufkommt, gehen wir lieber zum open fun nach oben ins Foyer. Dort sorgt Hiba Salameh, eine Kultclub-Chefin aus Haifa, für wiegende Musik, gemischt aus Lounge-Sound, Afro-Beat, orientalischen Elementen, falls man das so sagen darf. Sehr schön und friedvoll. Leider sind außer den Groupies allzu wenig Gäste erschienen, um politisch korrekt zu chillen. Aber der neue Beauftragte für „Diversity“ am D’haus, Guy Dermosessian, selbst Musikproduzent und Projektmanager der Zukunftswerkstatt NRW sowie Experte für „Kunst und Teilhabe“, wird es sicher weiter mit uns versuchen.
Noch mehr Lectures und Musik
In der nächsten Lecture der Reihe „Embracing Realities“ im D’haus beschäftigt sich die Konzeptkünstlerin Natalie Anguezomo Mba Bikoro am Donnerstag, 28. November 2019, um 20.30 Uhr mit dem deutschen Kolonialismus in Westafrika und seinen Spätfolgen: „On a History of Lateness“. Nachher, ab 22 Uhr, gibt die „Queen of Mbira“, Stella Chiweshe, im Foyer ein Konzert mit ihrem aus Metallschüsseln konstruierten Instrument. www.dhaus.de