Kunstpunkte Düsseldorf: Die Schönheit der zufälligen Entdeckung
Dieses Faltblatt kann einen ganz kirre machen. Alle Jahre wieder verwirrt das Düsseldorfer Kulturamt seine Bürger mit einer winzig bedruckten Liste von Kunstpunkten, die beim besten Willen kein Mensch abarbeiten kann. 484 Maler und Bildhauer (natürlich beiderlei Geschlechts) präsentieren in diesem Jahr ihre Werke in offenen Ateliers mit 217 verschiedenen Adressen im gesamten Stadtgebiet. Wer genießen und entdecken will, sollte daraus bloß keine Schnitzeljagd machen. Einfach was aussuchen. Wir sind am Sonntag (15.9.) zwischen Bilk und Holthausen unterwegs gewesen.
Kunstkabinett im Atelierhaus Reisholzer Werftstraße: C.U. Frank in ihrer Ausstellung.
An der Reisholzer Werftstraße, gleich unten am Rhein, wurden früher sperrige Waren auf Schiffe umgeladen. Nach dem Niedergang des Düsseldorfer Nutzhafens in den 1990er-Jahren sorgte der Verein „Kunst im Hafen“ für neues spannendes Leben. Seit damals schon ist die gebürtige Bambergerin C. U. Frank dabei und entwickelt in einem weiträumigen Atelier mit freiem Blick auf den Rhein ihre gestalterischen Konzepte, die mehr sind als Malerei. Nach dem Mauerfall, die als „Wende“ in den Sprachgebrauch einging, drehte sie das Tafelbild um – und zeigt seither die gestalteten Rückseiten der Leinwand im groben Leisten. In einem Kabinett arrangierte sie an diesem Wochenende eine ganze Ausstellung von Rück-Bildern vor einer Wandzeichnung, die Raumtiefe vortäuscht.
Paare und Passanten: figurative Bilder von Heike Ludewig.
Mord am sagenhaften Goldbären
Ihre Kollegin Heike Ludewig macht es dem Betrachter leichter. Sie malt figurativ – in monumentaler Größe und in vielen kleinen, erschwinglichen Formaten, die sicher viele Freunde finden. Da geht es nicht ums große Drama, sondern um Stadtbummler, Spaziergänger, Urlauber, Sportler. Ludewig malt mit frischen Farben und leichtem Pinselstrich und wahrt zugleich eine angenehm nüchterne Distanz zu ihren Figuren. Kitsch gibt es da genauso wenig wie auf den neuen Stillleben von Dirk Balke, der ganz oben im Hafenhaus mit der Hausnummer 75 die Dinge auf einem alten Tisch arrangiert und malen kann wie ein barocker Meister, inklusive einer toten Fliege, die hier und da auf die Vergänglichkeit hinweist.
Ein Meister der Stillleben ist Dirk Balke, Vorsitzender des Vereins „Kunst im Hafen“.
Flaschen hat er gemalt, einen rotbackigen Apfel, aber auch den italienischen Espressokocher an einer Kaffeepfütze, den Lichtschalter an der Wand und immer wieder gerne eine chinesische Winkekatze. Balke, derzeitiger Vorsitzender des Vereins Kunst im Hafen, kann auch Landschaften, und er hat irre Objekte gemacht wie den schief gewickelten „Mufflon“-Mann vor dem Klo im Treppenhaus und die Bronze-Skulptur „Hinterhältiger Mord am sagenhaften Goldbären“.
Klanginstallation und Apfelstreusel
Es tut gut, wenn die Ästhetik eines Kunstereignisses mal nicht von musealen und kuratorischen Zwängen bestimmt ist. Wir laufen hinters Haus, wo der Rhein in der Sonne glitzert und eine Familie Picknick macht, und werden über die alte Rampe in ein Atelier gewunken, wo sich etwas Verlockendes bewegt und klingt. Birgit Brebeck-Paul hat alte Klavierbeine, die wie Figuren aussehen, umgedreht auf Plattenspieler montiert. Mit einem Fußschalter kann man sie rotieren lassen, ein Objekt aus Pedalen gibt den Takt vor: „Opus 13“. Heiter gestimmt bummeln wir weiter, um die Ecke durch die große Ausstellungshalle, wo Sven Vieweg inmitten einer Klanginstallation seine dunkel-schönen Bilder der Reihe „Elixiere der Verdammnis“ zeigt. Dann brauchen wir eine Pause. Schräg gegenüber, im renovierten Eckhaus an der Reisholzer Werfstraße 73, hat das Galerie-Café „Töchter & Söhne“ gerade aufgemacht. Da gibt es fair gehandelten, handgebrühten Kaffee und herrlichen Apfelstreusel aus einer Benrather Bäckerei (12 bis 17 Uhr, außer Di. und Fr.).
An der Walzwerkstraße hat Christian Psyk sein Atelier. Dort zeigt er unter anderem Objekte aus Katzenfutterdosen.
Gestärkt fahren wir ein paar Kilometer weiter durchs alte Industriegebiet an die Walzwerkstr. 14, wo sich in langen Bürofluren an die 80 Künstler zu günstigen Bedingungen eingemietet haben. Kein so tolles Ambiente – aber voller Überraschungen. Hinten durch in der dritten Etage (Eingang Stephanstr. 10), hinter den wild-witzigen Malereien von Conny Dietrich, treffen wir Christian Psyk, einen Experten für kurios-poetische Konzepte. Mit Scherben, die er fein einfasst und wie seltene Schmetterlinge in Kästen arrangiert, untersucht er die „Morphologie der Scherben vom Strand“. Und aus leeren Katzenfutterdosen, die er grafisch bearbeitet, konstruiert er Objekte, die das digitale Leben reflektieren.
Wo die Wirtschaft droht
Seine Kollegen in tieferen Etagen versuchen mit kleinen Drucken und Fotografien für zehn bis 30 Euro ein bisschen Geld zu verdienen. Die meisten Künstler müssen sehen, wie sie die Existenz sichern. Umso wichtiger sind bezahlbare Ateliers. Ein Vorzeige-Objekt war immer der denkmalgeschützte Salzmann-Bau an der Himmelgeister Straße in Bilk, ehemaliger Sitz der Firma Jagenberg. Seit den 1980er-Jahren wurde der um 1905 entstandene, bildschöne Klinkerbau mit Mitteln der Landesentwicklungsgesellschaft NRW saniert und zu einem Soziokulturzentrum umgebaut. Hier spielt die Jazz-Musik, hier arbeiten Initiativen, hier arbeiten und wohnen an die 50 Künstler zu denkbar günstigen Konditionen, die jetzt allerdings durch die Privatisierung der LEG in Zukunft nicht mehr sicher sind.
Luft, Licht, Kunst und Leben: Bernard Lokai in seiner Atelierwohnung im Bilker Salzmann-Bau.
Noch blüht die Gegenwart, und Künstler wie Gerhard Richters Meisterschüler Bernard Lokai (59) können im Salzmann-Bau die Harmonie von Leben und Werk vorführen. Die Fenster im Atelier sind weit geöffnet, doch es liegt ein Duft von Ölfarbe in der Luft. An der Trennwand zwischen Arbeits- und Wohnraum zeigt Lokai seinen neuesten „Block“: ein Kunstwerk aus 18 kleinen Bildern, die zusammen den Eindruck einer abstrahierten Landschaft vermitteln – mit Himmeln im wechselnden Licht, einem Horizont, einem Vordergrund. Weil der Künstler fasziniert vom Pluralismus ist, benutzt er ganz verschiedene Techniken und Stilarten, von der monochromen Autolack-Arbeit über die Frottage zur gestischen Malerei und klassischen Anleihen. Seine Kollegin Ulrike Münchhoff, eine Veteranin des Jagenberg-Projekts, malt Blüten und Scherbenhaufen in monumentalem Format. Auch sie hofft, dass die Ruhe, Schönheit und kulturelle Bestimmung des Salzmann-Baus und anderer Kunstpunkte nicht im Sturm der freien Marktwirtschaft vernichtet wird.
Auch die Malerin Ulrike Münchhoff kämpft für den Erhalt der Ateliers im ehemaligen Jagenberg-Ensemble.
Und noch mehr Kunstpunkte
Am kommenden Wochenende, 21. und 22. September, führen die Kunstpunkte zu offenen Ateliers in der nördlichen Hälfte der Stadt. Zu den Zielen gehören das historische Atelierhaus an der Sittarder Str. 5, das Atelierhaus an der Theodor-Heuss-Brücke (Kaiserswerther Str. 237) und die ehemaligen Böhlerwerke an der Hansaallee 321 und das BBK-Kunstforum an der Birkenstr. 47. Öffnungszeiten: Samstag 14 bis 20 Uhr, sonntags 12 bis 18 Uhr. www.kunstpunkte.de