Düsseldorf Amtsgericht: Harald Naegeli und die Magie gesprayter Flamingos
Der Adel verspeiste ihre Zungen. Manche Stämme spezialisierten sich auf die Jagd, weil ihnen das Fleisch der großen, langbeinigen Vögel mundete. Wegen der wunderschönen rosa Federn aber wurden Flamingos noch nie gejagt. Denn die verlieren ihre Farbe, sobald man sie rupft. Ausgerechnet die „Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste“ und ein Düsseldorfer Hausbesitzer wollten jetzt den Mann rupfen, der wild aufgesprayte Flamingos zur Kunstform erhoben hat. Godfather of Graffiti, Harald Naegeli, kehrte im Alter von 79 Jahren am Dienstag (2.4.) an den Ort zurück, der zu seiner Kunst gehört, wie eine Spraydose mit schwarzem oder rotem Acryllack. Naegeli musste in Düsseldorf vor Gericht.
Sachbeschädigung. Das hatten Akademie und Immobilien-Inhaber zur Anzeige gebracht. Ein Sprayer hatte ihre weißen Wände geschändet. Und prompt meldete sich eine Zeugin, die einen alten Mann mit einem Fahrrad hatte wegradeln sehen. Nach vollendeter Wand-Veredelung. Harald Naegeli hatte aus alter Verbundenheit mit Düsseldorf wieder einmal drei seiner Flamingos gesprüht.
In erleuchteter Nacht
Selbst die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft begriff mit der Zeit, wer da in erleuchteter Nacht Hauswände aufgewertet hatte. Und auch der Besitzer einer Düsseldorfer Tankstelle erwies sich als weit cleverer als das Akademie-Personal und jeder Immobilien-Besitzer. Erst einmal hatte er das Geschlängel gar nicht bemerkt. Doch von kundigen Kunden auf die Kunst am Bau aufmerksam gemacht, setzte er sich vor seinen Computer und googelte und beschloss: Der Original-Naegeli bleibt.
Währenddessen startete die zerknirschte Justitia einen Versuch, die Strafverfolgung des 2016 im Düsseldorfer Stadtmuseum mit einer eigenen Ausstellung bedachten Harald Naegeli noch vor der Hauptverhandlung niederzuschlagen. Der Künstler hätte den gelackmeierten Düsseldorfern den Rummel ersparen sollen, gegen die Akzeptierung eines Strafbefehls über 600 Euro.
Harald Naegeli, 2016 im Düsseldorfer Stadtmuseum. Foto: Melanie Zanin, Stadt Düsseldorf
Doch da hatten die juristischen Taktiker ihre Rechnung ohne den justizerfahrenen Harald Naegeli aus Zürich gemacht. Der saß wegen seiner Kunst 1984 in der Schweiz ein halbes Jahr lang im Gefängnis und weiß sich im Stand der Anklage zu bewegen. Also kamen am Dienstag mehr als zwei Dutzend Journalisten ins Düsseldorfer Amtsgericht. Harald Naegli, genesen nach schwerer und langer Krankheit, schimpfte auf den Kapitalismus, lobte den Tankstellen-Besitzer, der mehr Kunstverständnis habe als der NRW Akademie-Leiter und wurde von Susanne Anna, der Chefin des Düsseldorfer Stadtmuseums, begleitet. Sie hatte vor mehr als zwei Jahren die Naegeli-Ausstellung in ihrem Haus organisiert.
Flamingo-Tag
Gegen eine Zahlung von 500 Euro an das Kinderhospiz und Bezahlung der Kosten für die Entfernung der gesprayten Flamingos auf Akademie und privater Hauswand wurde das Verfahren eingestellt. Denn die einen hatten sich mehr als genug blamiert. Harald Naegeli war seine Kritik an den Mechanismen des Kapitalismus losgeworfen: Im Düsseldorfer Amtsgericht war heute Flamingo-Tag.