Magische Natur im Kunstpalast: Was das Kraut erzählt
So ein Übergang ist ja immer auch eine diplomatische Herausforderung. Felix Krämer, der neue Generaldirektor im Kunstpalast, hatte gar nichts zu tun mit der Planung der Ausstellung „Magische Natur“. Aber der unspektakuläre Vergleich von Waldmotiven des Goethe-Zeitgenossen Carl Wilhelm Kolbe (1759-1835) mit drei aktuellen Positionen ist nun mal die erste Sache, die er als Museumschef den Düsseldorfern zu präsentieren hat. Und so versichert Krämer, dass er damit „ausgesprochen glücklich“ sei und die „Vielfalt der Sammlung“ zu schätzen wisse.
Kuratorin Gunda Luyken erklärt einen monumentalen Holzschnitt von Franz Gertsch
Wie meistens bei den Projekten im Sammlungsflügel des Museums fehlt der Wow-Effekt. Man muss schon aufmerksam hinsehen, um zu verstehen, warum die Kuratorin und Leiterin der Graphischen Abteilung, Gunda Luyken, den Dessauer Hofkupferstecher und Schullehrer Carl Wilhelm Kolbe als ihre „heimliche Liebe“ bezeichnet. Der im Stillen wirkende Meister brauchte keine Farben und keine Malerei, um der Natur zu huldigen. Er war ein Zeichner. Bei täglichen Spaziergängen durch die Wälder und fürstlichen Parks rund um Dessau ließ er Bäume, Büsche und Kleingewächse auf sich wirken und erfand dann im Atelier seine eigenen Landschaften, die er mit feiner Nadel in die Druckplatte ritzte.
Geborgenheit unter der Eiche: „Das Gespräch“ von Carl Wilhelm Kolbe, 1800
Unter den Eichen lebt die Fantasie
Wie mächtige Wesen erscheinen da uralte Eichen mit knorrigen Rinden, abgestorbenen Zweigen und schlangenartigen Wurzeln. Sie geben Mensch und Vieh Geborgenheit, wie ein paar eingefügte Gestalten und Tiere zeigen. Und sie regen die Fantasie an. Als sei es selbstverständlich, hockt da ein bocksbeiniger Faun unter dem Baum, um drei nackte Nymphen beim Tanze zu betrachten. Im gestochen scharfen Wald der Wunschträume geht es zuweilen locker zu. Ein Satyr mit bloßem Gemächte jagt lustvoll eine Nymphe, beim Bad im Teich wird eine Schöne von einem spitzohrigen Verehrer belästigt. Auch romantische Szenen wie „Leierspieler und Mädchen am Brunnen“ von 1803 sind erotisch aufgeladen.
Die Hauptrolle in Kolbes Naturtheater spielen jedoch immer die Pflanzen. Nicht nur die majestätischen Bäume hatten es dem Künstler angetan. Er wusste auch Wiesenhalme, Kraut und Unkraut zu schätzen und gab dem Unbeachteten eine Bedeutung. Zwischen überdimensionalen Blättern und Halmen schmust ein winziges Liebespaar, und die Kuh ruht im gewaltigen Schilf. „Ich mag nehmlich alles, was mich reizt und lockt, gern in der Nähe haben, ich mag jede Schönheit, die auf mich wirken soll, gern mit Händen greifen“, so beschrieb Kolbe selbst die künstlerische Freiheit, die er sich nahm. „Ich finde Kolbe so modern“, schwärmt die Expertin Gunda Luyken und fand die passenden Ergänzungen in der Gegenwart.
Nützliches Grün: In Frankreich fand Fotokünstlerin Simone Nieweg 2005 „Zucchini" (Ausschnitt)
Die Liebe zu Kraut und Kohlrabi
Kolbes Liebe zum Kraut teilt die Becher-Schülerin Simone Nieweg, die vorzugsweise das Gemüse in naturbelassenen Nutzgärten fotografiert. Kohlrabi in Schiefbahn und Wirsing in Steinhagen sind für sie ein ebenso reizvolles Motiv wie das von der Abendsonne beleuchtete Erbsenfeld, das sie nördlich von Paris auf dem Land entdeckte. Tatsächlich sucht sie auch auf Reisen und oft sehr lange nach dem geeigneten Ort im richtigen Licht. Kunst kommt auch von Konsequenz. Das gilt in besonderem Maße für den heute 87-jährigen Schweizer Maler Franz Gertsch, der mit verblüffend fotorealistischen Menschenbildern berühmt wurde, doch im reifen Alter nach subtileren Ausdrucksweisen suchte.
Dafür braucht er kein anderes Motiv als die Blätter der Gewöhnlichen Pestwurz, die vor seinem Haus wächst. Er fotografiert die Pflanze, projiziert das Bild auf einen Holzstock und schneidet, nein, stichelt, die Linien in monatelanger Kleinarbeit in den Untergrund. Die zum Teil monumentalen Grafiken, in einer einzigen Farbe auf Japanpapier gedruckt, bestehen aus nichts als unzähligen Punkten, die beim Druck von der Farbe nicht berührt werden und haben eine Zartheit, die man früher von Gertsch nicht kannte.
„Liebespaar unter großem Kräuterwerk“: Radierung von Carl Wilhelm Kolbe, 1810
Der Zauber des Verderbens
Auch die Düsseldorferin Natascha Borowsky holt ihre Inspiration bei den Pflanzen. Während eines Arbeitsstipendiums in Indien fotografierte sie einen Mangrovenhain an der Meeresküste bei Mumbai. Von weitem waren ihr seltsame Farben und Formen zwischen den Bäumen aufgefallen. Aus der Nähe erkannte sie, dass Stämme und Äste von Stoff- und Plastikfetzen umwickelt sind. Was fast aussieht wie eine absichtliche Installation, entsteht durch Meereswasser, das bei Flut immer wieder und wieder durch den Hain fließt und Abfälle zurücklässt: Plastiktüten, leuchtende Stoffe, bizarr zerlumpte Fetzen.
Die Natur ist nicht unberührt, sie ist voller Zivilisationsmüll – und doch entsteht eine durch die Kraft des Wassers eine neue, eigenartige Ästhetik. „Transition“, Übergang, nennt Natascha Borowsky die Serie. Und man hat das Gefühl, dass die „Magische Natur“ am Ende siegen wird.
Wann und wo?
„Magische Natur: Carl Wilhelm Kolbe, Franz Gertsch, Simone Nieweg, Natascha Borowsky“: bis 7. Januar im Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Sammlungsflügel. Geöffnet: Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr.
Zur Ausstellung ist im Wienand-Verlag ein schöner Katalog im Querformat erschienen: 80 Seiten, 19,80 Euro.
Weitere Information finden sie hier: www.smkp.de