Beat Wismer geht: Die Zeremonie des Abschieds
Nein, Beat Wismer ist nicht der Typ, der einfach so verschwindet. „Ich habe das inszeniert“, erklärt er verschmitzt in seinem unverwechselbaren Schweizer Tonfall. Schon im Herbst 2016 fing seine Düsseldorfer Abschiedszeremonie an – mit der letzten vom scheidenden Direktor selbst kuratierten großen Ausstellung im Museum Kunstpalast: „Hinter dem Vorhang“. Doch dann gab es in diesem Jahr doch noch den spektakulären Auftritt mit Cranach, etliche andere Vernissagen, Vorträge für Volk und Society sowie Wismers Herzensangelegenheit mit der Abstraktion: „Beauty is a Rare Thing“, Schönheit ist ein seltenes Ding.
So hieß, in Anspielung auf ein Saxophonstück von Ornette Coleman, Wismers kleine Würdigung der Abstraktion, die er liebt wie den Jazz und die er eigentlich noch einmal umfangreich präsentieren wollte. Manche Pläne bleiben eben unerledigt – das spürt jeder am Ende einer Laufbahn. Die winzige Wehmut geht aber oft mit einer Befreiung einher. Der 64-jährige Museumschef hat derzeit nicht vor, seine Karriere fortzusetzen. Er zieht als Ruheständler mit seiner Frau nach Zürich – ein frisches Lebensgefühl, denn: „Da habe ich noch nie gewohnt.“
Der Kunsthistoriker in seinem Element: Beat Wismer erklärt der Presse die Abstraktion in der Ausstellung „Beauty is a Rare Thing“
Mit der Neugier des Flaneurs
Zwar ist er in der Schweiz noch mit zwei Stiftungen und einem Beirat verbandelt und wird 2019 in Luzern als Senior-Kurator an einer Turner-Ausstellung in Luzern beteiligt sein, aber seine Hauptaufgabe wird der Müßiggang sein: „Ich hoffe, dass mir das gelingt.“ In Cafés will er sitzen, auf den Zürich-See schauen, viel flanieren, überraschende Dinge entdecken. Gerade so, mit der Neugier und der Freude des Flaneurs, hat er auch die Kunst gern angeordnet, nicht der Reihenfolge nach, sondern mit reizvollen Kontrasten und Perspektiven. Eine gewisse Leichtigkeit ist für ihn wichtig bei der Vermittlung von Inhalten, mit denen nicht jeder vertraut ist: „Ausstellungen sollen einem interessierten Publikum verständlich präsentiert werden!“
Ein Museumsbesuch ist eben in erster Linie auch nichts anderes als ein Zeitvertreib und muss für die von Reizen verwöhnte Stadtgesellschaft attraktiv sein. Wismer war früher skeptisch gegenüber Events wie den langen Museumsnächten, wo die Leute plötzlich Schlange stehen, weil draußen die Musik spielt und die Sache einen Partycharakter hat. Heute freut er sich über den Andrang. So lockt man auch ein junges Publikum, das vielleicht wiederkommt – und sei es nur zur nächsten langen Nacht. Sollen sie doch vor Meisterwerken ihre Selfies machen! Auch Kunst muss sich verkaufen.
Verbindung schaffen: Beat Wismer mit Bildhauer und Ausstellungsleiter Michael Kortländer am Podium der „Großen“ Düsseldorfer Kunstausstellung
Herausforderung am Rhein
Apropos verkaufen: Die Akquise von Drittmitteln gehörte für Wismer zu den unangenehmen Verpflichtungen eines modernen Museumsdirektors. „Dem Geld hinterherlaufen zu müssen“ – das wird er nicht vermissen. Und auch den ewigen Kleinkrieg mit den hiesigen Behörden fand er zermürbend: „Ich verstehe jeden Arzt, der in die Schweiz zieht.“ Ein Museumscafé im Ehrenhof? Wird von Amts wegen nicht erlaubt: „Wir sind schon froh über die Liegestühle am Brunnen.“ Das kleine Bistro oben im Seitenflügel mit Blick auf die ganze Anlage? Aus statischen Gründen geschlossen. „Verschärfte Bestimmungen“, bemerkt Wismer nur. Entsprechend still ruht der erst vor sechs Jahren nach einer Sanierung neu eröffnete Sammlungsteil des Hauses. Eine Aufgabe für Wismers Nachfolger Felix Krämer.
Wismers Sorge kann es nicht mehr sein. Er packt sein Düsseldorfer Leben ein, verlässt zum Monatsende die Wohnung an der Lützower Straße und zieht zurück in die Schweiz, die er vor zehn Jahren verließ, um noch einmal eine neue Herausforderung anzunehmen. Zuvor war alles Beständigkeit. Nach dem Studium in Basel und Lehraufträgen hatte Beat Wismer, junger Vater zweier Töchter, 1985 die Leitung des Aargauer Kunsthauses in Aarau übernommen. Er erweiterte die moderne Sammlung, eröffnete einen von Herzog & de Meuron geplanten Erweiterungsbau – und er hätte dort bis heute in allen Ehren bleiben können. Doch dann kam, nach 22 Jahren in Aarau, diese Anfrage aus Düsseldorf: „Das war verlockend!“ Und er wollte es noch einmal wissen.
Die lieben Gewohnheiten
Wismers Frau stammt aus Mülheim an der Ruhr. Er kannte Düsseldorf von vielen Besuchen und mochte die Stadt schon immer: die Lage am Rhein, die mittlere Größe, die lebendige Kunstszene. Die vielfältige Sammlung des Museums reizte ihn und die Möglichkeit, auch mit alter Kunst zu arbeiten, ganz abwechslungsreich. Das hat er getan, hat das Publikum betört – mit Ausstellungen von El Grecos manieristischen Heiligen bis zu den scheppernden Spielmaschinen des Schweizer Kunst-Urviechs Yves Tinguely.
Jetzt kommt mit der Fotokunst von Axel Hütte die definitiv letzte Ausstellung der Ära Wismer. Der Chef wird zum letzten Mal am publikumsfreien Montag ganz ungestört durch die Hallen gehen. Er wird nicht mehr oft am Morgen von zu Hause über den alten Golzheimer Friedhof Richtung Ehrenhof spazieren, früh um acht Uhr: „Ich habe gerne eine Stunde für mich allein.“ Auf dem Rückweg macht er vielleicht nochmal einen Umweg über die Nordstraße, wo er einkaufen kann, und dann trinkt er einen Cappuccino in seiner bevorzugten Eisdiele Da Forno an der Schwerinstraße. Genau dort haben wir uns zu einem letzten Interview getroffen: Zeremonie des Abschieds.