Cranach im Kunstpalast: Der Meister macht die Marke
Der Meister hat die Forschung ausgetrickst: Welcher Pinselstrich von ihm selbst ausgeführt wurde, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Denn Lucas Cranach der Ältere (1472-1553), der begnadete Maler, war vor allem ein gewiefter Kunstunternehmer. Mit seiner Wittenberger Werkstatt produzierte er Tausende von Gemälden und zigtausend Grafiken der Marke Cranach. Sein professionelles Team – ein Dutzend Gesellen, später auch die eigenen Söhne Hans und Lukas der Jüngere – musste seinen Stil so perfekt beherrschen, als wär’s ein Stück vom Chef persönlich. Die Kundschaft hatte nichts dagegen. Das Signet der Cranach-Werkstatt, eine Schlange mit Fledermausflügeln, galt als Garantie für Qualität und Prestige.
Fromme Bilder: Um 1510 malte Cranach seinen Kurfürsten Friedrich III. (links) und die Madonna inmitten von heiligen Frauen.
„Meister – Marke – Moderne“: Das sind denn auch die Stichwörter im Titel der großen Schau der Saison im Düsseldorfer Kunstpalast. Beat Wismer, der scheidende Generaldirektor, war als Student 1974 an einer Cranach-Ausstellung in Basel beteiligt – und krönt jetzt seine Düsseldorfer Laufbahn mit dem Namen des in Kronach geborenen Renaissance-Stars, der in Wien erstes Aufsehen erregte, bevor er 1505 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich III. zum Hofkünstler ernannt wurde. Der Kurfürst, bekannt als Friedrich der Weise, hatte ausgerechnet das 2000-Einwohner-Kaff Wittenberg zur Residenzstadt auserkoren und baute es zu einem Zentrum der Kunst und Wissenschaft aus.
Klein, aber intensiv: 1531 malte Lucas Cranach sein Selbstbildnis.
Der Medienstratege der Reformation
Cranachs Geschäfte an der Elbe liefen glänzend, zumal der Maler im Rat saß, später sogar Bürgermeister wurde, ganz nebenbei eine Apotheke betrieb und auch noch an einer Druckerei beteiligt war, die etliche Schriften seines Freundes Martin Luther verbreitete. Die Werkstatt Cranach sorgte für die würdevollen Porträts des Reformators mit schwarzem Mantel, mal mit, mal ohne Kappe. Nach Ansicht der Kuratoren Daniel Görres und Gunnar Heydenreich war der Maler so etwas wie der Medienstratege der Reformation. Auf jeden Fall stützten seine Bildnisse den Ruhm Luthers.
Liebe zum alten Meister: Museumschef Beat Wismer vor Cranachs Bild „Alter Mann von Kurtisanen betört“.
Bis heute stellen wir uns den naturgelockten Ex-Mönch genauso vor, wie ihn Cranach in den frühen 1540er-Jahren abbildete: leicht übergewichtig (er war schließlich ein Genussmensch), aber mit festem Blick und energischem Zug um den Mund. Das viel früher, 1521, entstandene „Bildnis Martin Luthers als Junker Jörg“ zeugt von der Zeit, als der Reformator, verfolgt von Rom, verurteilt vom Reichstag, vogelfrei war und sich einen Bart wachsen ließ, um nicht erkannt zu werden. Cranachs Porträt, in einer grafischen Kopie weit verbreitet, war ein Zeichen für Luthers Überleben und seine Entschlossenheit.
Die nackte Venus lockt lebensgroß
Aber es geht ja im Kunstpalast nicht um Luther, es geht um Cranach, der 1528 als zweitreichster Bürger nach dem kursächsischen Kanzler in der Steuerabrechnung der Stadt Wittenberg aufgeführt wurde. Und das lag nicht nur an seinen Porträts bedeutender oder gut zahlender Herren im vorteilhaften Dreiviertelprofil. Das lag auch und vor allem an seinen berückenden Frauenbildern. Cranach der Ältere war der erste Maler nördlich der Alpen, der mit „Venus und Cupido“ von 1509 (entliehen aus der Petersburger Eremitage) einen unübersehbaren, weil lebensgroßen Akt produzierte. Kugelrunde Brüste, hüftlange Locken und eine Haut wie Marzipan hat Cranachs Göttin. Der hauchzarte Schleier vor der Scham offenbart mehr, als er verbirgt. Amor, der kleine Schlingel, lauert schon hinter der Mutter, bereit, seinen Liebespfeil auf den Betrachter zu richten.
Kurator Daniel Görres präsentiert Cranachs „Christus und die Ehebrecherin“.
So etwas hatten bis dato nur die Italiener gewagt. Es muss unerhört gewesen sein – weshalb Cranach vorsichtshalber für eine mahnende lateinische Inschrift sorgte, zu Deutsch etwa: „Bezwinge mit ganzer Anstrengung deine Liebesgelüste, damit nicht Venus dein umnebeltes Herz besitzt“.
Der besondere Schmelz von Cranachs Frauen
Ganz sicher erregten diese Worte umso mehr Interesse an den Weibsbildern des Lukas Cranach. Auch bekleidet waren sie überaus attraktiv. Anders als die porträtierten Männer mit ihren Knubbelnasen und individuellen Gesichtszügen unterschieden sie sich nicht sehr stark voneinander. In reiferen Jahren verfeinerte Cranach den immer gleichen Frauentypus, gern in Rotblond. Ob Judith, Lucretia oder Prinzessin Sibylle von Cleve, sie hatten alle eine hohe Stirn, mandelförmige Augen, eine volle Unterlippe und ein spitzes Kinn. Prächtig führten die Gesellen die passenden Gewänder, Kopfbedeckungen, goldenen Halsbänder aus.
Cranach goes Pop: Andy Warhol ließ sich 1984 vom „Bildnis einer jungen Frau“ inspirieren.
Auch Cranachs Madonnen haben diesen besonderen Schmelz – und auch die Ehebrecherin, die von Christus auf einem vor dem hässlichen Lynch-Mob bewahrt wird. Was die Motive betraf, war die Werkstatt Cranach sehr flexibel. Neben zahlreichen frommen Szenen – „Christus segnet die Kinder“, „Der Abschied der Apostel“ – gab es auch Schlüpfrigkeiten im Angebot. Ein grinsender alter Mann wird da von bildhübschen Kurtisanen betört. Das Sujet des „Ungleichen Paares“ (zahnloser Buhler und junge Frau, seltener umgekehrt) war so beliebt, dass die Werkstatt es in Variationen immer wieder verkaufen konnte.
Wie Picasso sich inspirieren ließ
Es ist eine Lust, die auf Holz gemalten Werke Cranachs und der Seinen aus der Nähe und in Ruhe zu betrachten. Und es macht Spaß, in der letzten Abteilung zu sehen, wie die moderne Kunst von der Marke Cranach inspiriert wurde. Picasso malte seine ungestüme Version von „Venus und der Liebe“ 1968 mit 87 Jahren. „Wenn ich male, dann stehen die Künstler der Vergangenheit hinter mir“, bemerkte er und nahm sich doch jede Freiheit. Braver ging Andy Warhol 1984 mit Cranach um und verwendete die Konturen des „Bildnis einer jungen Frau“ mit kessem Hut von 1526 für eine seiner farbverliebten Acryl-Siebdruck-Serien.
Aktion Massenkunst: Chinesische Gebrauchsmaler produzierten 2011 für Leila Pazooki 100 Kopien von Cranachs „Justitia“.
Der Japaner Yasumasa Morimura verkleidete sich sehr sorgfältig mit Wurst und Gemüse als Cranachsche Judith und fotografierte die Szene unter dem aufschlussreichen Titel „Mother“ (Mutter, 1991). Die junge Konzeptkünstlerin Leila Pazooki, eine Iranerin aus Berlin, zeigt an einer hohen Wand 100 mehr oder minder gute Kopien von Cranachs „Justitia“, um die Wette produziert von chinesischen Dienstleistungs-Malern. Kunst am Fließband? Das hätte dem alten Meister und Geschäftsmann Cranach womöglich ganz gut gefallen.
Meister und Marke
„Cranach: Meister – Marke – Moderne“. Bis 30. Juli im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Di.-So. und feiertags 11 bis 18 Uhr, Do. und Sa. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Der Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen: 340 Seiten, Museumsausgabe 39,90 Euro. Informationen über Führungen und Begleitprogramm unter www.cranach2017.de