Düsseldorf: Idea et Inventio – Nur Papier und doch die ganze Kunst
Nein, das ist keine dieser Ausstellungen, die jeden Museumsbesucher auf Anhieb betören. Ehrlich gesagt, könnte man die vergilbten und ergrauten Papiere, oft nur Fetzen, in ihren dezenten Rahmen leicht übersehen – auf dem Weg zu spektakulärer Malerei. Doch ehe uns der alte Meister Cranach (ab 8. April) mit seinen raffinierten Schönheiten in den Kunstpalast lockt, sollten wir doch einen Blick werfen auf „Idea et Inventio“ (Idee und Erfindung), eine Auswahl von 100 italienischen Zeichnungen des 15. und 16 Jahrhunderts aus der historischen Sammlung der Kunstakademie.
Die Blätter wurden nicht geschont. Sie wurden benutzt – als Vorbild und Forschungsmaterial für die eifrigen Studenten der seit 1762 bestehenden Düsseldorfer Akademie. Der Gründer selbst, Lambert Krahe (1712-1790), hatte solche Zeichnungen gesammelt und den Bergischen Landständen als Lehrsammlung verkauft. Seit 85 Jahren gehört die Krahe-Sammlung als Dauerleihgabe des Landes zu den verborgenen Schätzen des städtischen Kunstmuseums. Seit 20 Jahren arbeitet Sonja Brink an der Identifizierung, Konservierung und Klassifizierung des überaus zarten Kulturerbes.
Die Schönheit der Skizze würdigen
Allein in den letzten Jahren hat Dr. Brink 15 000 Zeichnungen näher betrachtet und, unterstützt von Kollegen aus Rom, Florenz und Genf, 500 davon den italienischen Klassikern zugeordnet. Einige davon werden nun präsentiert – mitsamt dem ersten Band eines imponierenden Doppelkatalogs.
Nun gehört der gemeine Kunstfreund nicht der von der Expertin beschworenen „ausgewiesenen Wissenschaftsgemeinde“ an, die, rein kunsthistorisch, „die identitätsstiftenden, europäisch zu nennenden Aspekte der Sammlung Krahe“ zu würdigen weiß. Aber: Man kann die Schönheit der Skizzen würdigen – und das Wunder, dass solch ein Werk des Augenblicks bis heute erhalten blieb, der Vergänglichkeit trotzend und doch schon halb vergangen.
Fünfeinhalb Jahrhunderte überdauerte ein gerade mal 14 Zentimeter großes Stück Pergament, auf das ein unbekannter Schüler von Jacobo Bellini die „Heilige Familie inmitten von Engelchören“ zeichnete. Hinter groben Schmutz- und Wasserflecken kommen da die feinen Umrisse von Figuren zum Vorschein. Der Stall ist ein leichtes Gerüst aus Ästen, im Hintergrund steht ein Baum. Gewiss sollte dies der Entwurf für ein Gemälde sein. Wie die Forscher wissen, leitete Bellini in den 1460er-Jahren einen Großauftrag zur Gestaltung eines Schulsaales mit Szenen aus dem Marienleben.
„Vier Putten“ von Domenico Campagnola, Feder in Braun, um 1520
Mit der Erkenntnis wächst das Geheimnis
Was der Chef von der Skizze hielt, was daraus wurde – das ist vergessen. Mit der Erkenntnis über alte Kunst wächst zugleich auch immer ihr Geheimnis. Der junge Norditaliener Domenico Campagnola hatte sich vielleicht von antiken Reliefs inspirieren lassen, als er um 1520 vier nackte Puttchen im kindlich verspielten Streit zeichnete. Das Blatt ist sehr gut erhalten, auch wenn ein Stück davon erst nachträglich angesetzt wurde, als habe der Künstler mit verschiedenen Fragmenten nach einer Komposition gesucht.
Die meisten Blätter waren eindeutig nicht für den Kunden, sondern, zu Übungs- und Entwurfszwecken, nur für den Künstler selbst bestimmt. Das gilt für die winzige „Schlachtenszene“, die Camillo Procaccini in den 1590er-Jahren mit einem Rötelstift-Raster für die leichtere Übertragung auf die Leinwand versah. Das gilt auch für die zarten Figurenstudien, die Pietro Perugino, der Lehrer Raffaels, um 1486 mit Metallstift und Deckweiß auf die Rückseite eines Blattes gezeichnet hatte, dessen Vorderseite er bereits für den gröberen Kreideumriss eines bärtigen Mannes benutzt hatte. Oder geschah es in umgekehrter Reihenfolge?
Entwurf für ein verschwundenes Fresko: „Madonna mit Kind“ von Paolo Farinati, zwischen 1575 und 1600
Von beiden Seiten bemerkenswert
Auf jeden Fall wollte der Künstler sparsam mit dem wertvollen Papier umgehen – genau wie ein Jahrhundert später Federico Barocci, der auf die Rückseite einer Kompositionsskizze um 1590 die kopflose Figur einer knienden nackten Frau zeichnete. Die überaus modern wirkende Studie ist, wie man an einer anderen Zeichnung Baroccis sehen kann, offenbar nur die Grundlage für die Darstellung einer züchtig verschleierten Maria Magdalena.
Andere Blätter wirken wie ein vollendetes Werk, plastisch ausgeführt mit Tuschpinsel und verschiedenen Kreiden. So arbeitete Paolo Farinati (1524-1606), als er in reifen Jahren „Die in einem Buch lesende Madonna mit Kind auf Wolken“ zeichnete. Dass die Gottesmutter auf dem Papier tatsächlich über uns zu schweben scheint, hat mit der Perspektive tun. Wir betrachten sie aus der Untersicht, denn die Zeichnung ist das „modello“ für ein Fresko, das sich einst hoch über dem Portal der Kapuzinerkirche in Verona befand. Das Fresko wurde viel gerühmt, doch es blieb nicht erhalten. Sein zarter Entwurf jedoch entzückt uns heute im Düsseldorfer Kunstmuseum.
Information
„Idea et Inventio: Italienische Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts“. Bis 18. Juni im Bronner-Saal des Museums Kunstpalast, Ehrenhof. Geöffnet Di. bis So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 5 Euro. Der erste Band des entsprechenden Bestandskatalogs ist bereits erschienen, Michael Imhof Verlag, 287 Seiten, 39,95 Euro. www.smkp.de