Düsseldorf und der Bombenfund von Rath: Chronik eines missglückten Krisenmanagements
Das Schlimmste, sagt Bombenentschärfer Jost Leisten (58) hinterher, das sei das Warten. Am Matschloch neben der Theodorstraße, bei dem tückischen Bomben-Findling. Und auch Oma Hertha Werker mag es nicht: das Warten, im Flughafenfernbahnhof, mit 860 weiteren Evakuierten und gestrandeten Reisenden. Denn in ihr steigen üble Erinnerungen auf: an die erste Bombenwelle im letzten Krieg; an die Flammenwand auf der Kölner Straße – als es selbst im Luftschutzbunker nicht mehr sicher war. Der Sprengstoffexperte im Matsch und die Seniorin in der Sammelstelle – Feuerwehr-Sprecher Christopher Schuster fasst zusammen, warum sie am Donnerstag (9.3.) warten mussten:
Um 21.23 Uhr am Mittwoch (8.3.) schickt die Stadt Düsseldorf die Erstmeldung zum Bombenfund. Da liegt die britische Roströhre aus dem zweiten Weltkrieg aber schon vier Stunden lang offen auf einem Grundstück an der Theodorstraße. Sie besitzt einen seltenen, chemisch-mechanischen Langzeitzünder. Im Stahlmantel steckt eine Glasröhre mit Säure. Die soll Plastikringe zersetzen, die den vorgespannten Zündbolzen zurückhalten. Seit 1995 habe es in Düsseldorf 89 Bombenfunde und –entschärfungen gegeben, so die Feuerwehr. Davon hatten nur drei Bomben solch einen komplexen Zünder. „Die Splitter können schon mal 1000 Meter und mehr weit fliegen“, sagt Bombenexperte Leisten.
Sofort unschädlich machen
Eigentlich muss eine solche Bombe sofort unschädlich gemacht werden. Doch der Fundort ist heikel: Churchills explosiver Gruß liegt im spitzen Winkel zwischen A52 und A44, neben einer der am dichtesten befahrenen Strecken der Deutschen Bahn und in Sichtweite des Düsseldorfer Flughafens Ungünstiger geht es kaum. Zudem war der Kampfmittelräumdienst des Regierungspräsidenten Düsseldorf anderswo im Einsatz. Wertvolle Zeit verrinnt.
Odyssee durch die Düsseldorfer Bombennacht
Statt zusammen, arbeiten Polizei, Feuerwehr und Stadtverwaltung gegeneinander. Hektisch wird ein Hotel mit 250 Gästen geräumt. Ruwen Prochnow, Messegast der Euroshop, schildert auf Facebook, wie ihm ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes kurz vor ein Uhr den Zugang zu seinem Hotel verwehrt. Für Prochnow und Mitreisende beginnt eine Odyssee, die sie zum Flughafen führt. Dort weiß niemand etwas. Per Taxi geht es weiter zur Grundschule an der Beedstraße, wo angeblich ein Krisenzentrum eingerichtet sein soll. Ist es aber nicht, ein DRK-Mann schließt gerade ab. Per Taxi zurück ins Maritim-Hotel am Flughafen, wo Menschen provisorisch auf Sofas schlafen oder sich in Konferenzräumen auf dem Boden zusammengerollt haben. Die Leitstelle der Polizei verweist Prochnow nach dessen Angaben mehrfach auf das Gefahrentelefon der Stadt, das ihm allerdings per automatischer Ansage mitteilt, es gäbe derzeit gar keinen Notfall.
Hilfskräfte aus Remscheid betrieben die Sammelstelle am Flughafenfernbahnhof
Dann veröffentlicht die Stadt eine Karte mit zwei Kreisen um die Bombe; soweit ist es wie immer. Kurz darauf aber wird die Karte wieder zurückgezogen. Bei der zweiten offiziellen Mitteilung um 2.23 Uhr am Donnerstag, also Stunden später erscheint eine neue Karte mit nur noch einem Kreis um den Fundort – einem 1000-Meter-Radius, den nicht nur alle Hauptverkehrsstränge durchschneiden, sondern in dem auch noch 8000 Düsseldorfer wohnen, die evakuiert werden müssen. Das muss einen halben Tag lang organisiert werden. Neue Notaufnahmestelle ist der Flughafenfernbahnhof. Eine dritte Meldung schiebt die Stadt um 3.01 Uhr nach.
Mehr als 160 gehbehinderte und bettlägrige Anwohner wurden von Rettungsdiensten zur Sammelstelle gefahren
Die A52 ist bereits seit Mittwochabend in beide Richtungen gesperrt. Kenner schlucken, wenn sie an den Berufsverkehr am Donnerstagmorgen denken. Die Deutsche Bahn hat den Nahverkehr stark ausgedünnt, weil sie Weichen und Gleise erneuert. Zugleich ist eine wichtige Messe: die EuroShop. Und es kommt bei den Autobahnen, wie es kommen muss: Mitten größten Verkehrschaos Düsseldorf Nord wird gegen 8.30 Uhr – ohne vorherige Ankündigung – auch die A44 komplett gesperrt. Nun ist der Flughafen nur noch auf Schleichwegen zu erreichen. Doch die muss man kennen. Ein Verkehrsexperte zu report-D: „Entweder hätte man die A44 noch in der Nacht sperren müssen – oder bis zur Bombenentschärfung am Nachmittag offen halten können.“
Zufalls-Tischgemeinschaft vereint beim Warten: rechts Annegret Kepping
Verglichen mit dem Bomben-Chaos geht es am Donnerstag-Nachmittag in der Sammelstelle am Flughafen entspannt zu. Zumindest am Tisch von Annegret Kepping (71). Sie unterhält sich mit Hertha Werker, die sie gerade eben erst kennengelernt hat. Und lobt deren Enkelin Sophie, die als erstes am Morgen in ihrer Schule angerufen hat: „Ich muss mich um Oma kümmern“, hat sie gesagt. „Das war gar kein Problem.“
Stephanie Werker (15, links) strich die Schule und betreute ihre Oma Hertha (rechts neben ihr)
Mittlerweile hat sich das Durcheinander im Krisenmanagement bis zum Oberbürgermeister herumgesprochen, der in Berlin die Tourismusbörse und dort den Gemeinschaftsstand von Düsseldorf, Köln und Bonn besucht. Geisel sendet eine Grußbotschaft, in der er von vielen kritischen Mails berichtet, die ihn erreicht hätten: „Nun ist erst Mal das Wichtigste, dass die Entschärfung klappt.“ Der Rest werde dann später aufgearbeitet, verspricht Düsseldorfs Verwaltungschef.