Ausflug ins Krefelder Haus Lange: Das Rätsel um die Zugezogenen
Das Haus ist verkauft, man sieht es auf dem Maklerschild vorn an der Straße. Vor dem Eingang steht ein Jaguar, beladen mit Gepäck. Rechtssteuerung. Ein Wagen aus England, ganz offenbar. „I voted stay“, sagt ein Aufkleber an der Heckscheibe. Well, der neue Bewohner scheint ein Gegner des Brexit zu sein. Ganz offenbar hat da jemand Großbritannien verlassen und ist vor den politischen Verhältnissen auf den Kontinent geflohen, nach Krefeld. Why not? Die Tür zu der klassisch modernen Villa steht offen, jeder darf eintreten – falls er ein Ticket gekauft hat. Denn, Ladies und Gentlemen, was Sie hier wahrnehmen, ist Kunst. Und die Immobilie ist ein Museum, Haus Lange, wo das skandinavische Künstlerduro Elmgreen & Dragset das ebenso spannende wie rätselhafte Drama um „Die Zugezogenen“ inszeniert hat.
Eine böse Überraschung im Park
Unter einer Installation versteht man das kulissenhafte Arrangement verschiedener Objekte zu einem dreidimensionalen Werk. Der Däne Michael Elmgreen und der Norweger Ingar Dragset geben sich nicht mit Ecken in Ausstellungssälen zufrieden. Das in Berlin und London residierende Duo erfindet ganze Lebensräume, in die das Publikum eintritt. Bei der Biennale in Venedig 2009 haben Elgreen & Dragset die Pavillons ihrer nordischen Länder in den Wohnort fiktiver Kunstsammler („The Collectors“) verwandelt. Im Pool trieb damals ein toter Mann, gruselig echt aus Silikon gestaltet von dem deutschen Puppenmacher Robert Rebele. Und auch bei den Zugezogenen im Krefelder Feine-Leute-Viertel müssen die Besucher im Park der 1928/30 von Mies van der Rohe gebauten Unternehmervilla eine schockierende Entdeckung machen …
Durch den Tisch geht ein Riss, im Kamin hockt ein verschrecktes Kind. Was ist da los?
Erst einmal lockt sie die Neugier in die Eingangshalle. Gleich vorne steht starr ein vergoldetes Dienstmädchen, die schwarz lackierte Tafel ist für Gäste gedeckt. Aber da sitzt keiner – und durch die Mitte des Tisches, der auch schon bei den „Collectors“ glänzte, geht ein sorgfältig polierter Riss. Stimmt wohl was nicht mit dem gehobenen Lifestyle. Sonst würde der Sohn des Hauses, ein täuschend echt aussehender Knabe aus handbemaltem Fiberglas, nicht so ängstlich mit seiner Schuluniform im kalten Kamin kauern. Eine fette Spinne hockt am repräsentativen Stuckrelief, und um die Ecke, da kläfft ein gefährlich aussehender Köter sein Spiegelbild an. Starr und still, der Hund ist ja nur eine Skulptur.
Ein großer Hund bellt den Spiegel an – lautlos. Die Kunst der Verunsicherung.
Die Gastgeber sind verschwunden
Laut ist nur das Metronom auf dem Flügel im Gartenzimmer: Tacktacktack, so klingt der Rhythmus der verrinnenden Zeit. Die Besucher gucken, sie kichern, sie fühlen sich ein bisschen unbehaglich wie ungebetene Gäste auf der Suche nach den Gastgebern. Es hängen zwar Fotos an der Wand, aber die namenlosen Leute darauf sind verschwunden. Im Salon haben sie vielleicht kürzlich noch auf den Sofas gesessen, da stehen zwei Tassen mit Restspuren von Kaffee. Im Arbeitszimmer gegenüber stapeln sich halb ausgepackte Umzugskartons mit Büchern und dem guten Goldrandgeschirr. Vom Schreibtisch aus hat man einen schönen Blick auf den parkähnlichen Garten – und auf die Tragödie.
Schock im Garten: Da treibt ein toter Kunst-Mann im Pool.
Im Schwimmbad treibt ein Herr in Hemd und Hose mit dem Gesicht nach unten. Sieht mausetot aus, ertrunken, wer weiß, wie lange schon. Offenbar ist er freiwillig aus dem Leben geschieden, jedenfalls hat er seine guten schwarzen Schuhe vorher ausgezogen und sorgfältig an den Rand gestellt.
Allein mit schwankenden Gefühlen
Reich und glücklich – das gehört nicht unbedingt zusammen, lernt der Betrachter in diesem stummen Kunsttheater. Gemeinerweise ist uns keine Erklärung vergönnt, wir haben nur die eigenen Spekulationen und schwankenden Gefühle. Schließlich schleichen wir noch hoch in den ersten Stock, wo, wie die Installation vorgibt, die Maler bei dem Versuch unterbrochen wurden, den schwarzen Flur weiß zu streichen. Schwarz gähnt da ein Fotolabor mit schlecht sichtbaren Kunst- und Familienbildern. Schwarz wie das Verhängnis sind die Kinderzimmer, leere weiße Bettchen stehen darin, auf denen jeweils ein Geier hockt. Yes, folks, hier wohnt das Grauen.
Gruseleffekt: Im schwarzen Kinderzimmer hockt der Geier über dem leeren Bettchen.
„I will never see you again“, ich werde dich/euch nie wiedersehen, hat jemand auf den Spiegel im Treppenhaus geschrieben. Ein eingepackter, verschmähter Blumenstrauß liegt darunter. Hat sich die Gattin verabschiedet, hat sie den Mann in die Verzweiflung getrieben, das Kind verlassen? Was steckt hinter all diesen Spuren? Bankrott? Treulosigkeit? Gewalt? Wahnsinn? Mit diesen bangen Fragen lässt uns das Künstlerduo allein. „Die Zugezogenen“ schaffen es auf maliziöse Art, das Publikum zu irritieren und zugleich zu amüsieren. Wie ein Krimi, in dem man selbst eine ungewisse Rolle spielt. Beim Spaziergang durch den Garten, der einst dem Krefelder Seidenfabrikanten und Kunstkenner Hermann Lange gehörte, kann sich jeder die passende Story ausmalen – und wird dabei zum Teil der Installation.
Daten für einen Haus-Besuch
Noch bis zum 27. August kann im Krefelder Museum Haus Lange, Wilhelmshofallee 91, die raumgreifende Installation „Die Zugezogenen“ des Künstlerduos Elmgreen & Dragset erlebt werden. Tickets für 7 Euro gibt es nebenan im zugehörigen Museum Haus Esters, wo in der gleichen Zeit die Objekte und Skulpturen des Mies van der Rohe-Stipendiaten Naufus Ramirez-Figueroa zu sehen sind. Geöffnet Di. bis So. 11 bis 17 Uhr. Wer nicht mit dem PKW kommt, kann Haus Lange vom Hauptbahnhof aus mit den Buslinien 054 H und 058 H erreichen.
www.kunstmuseenkrefeld.de