Düsseldorfs Neonazi-Kameradschaft Flingern: Polizei nimmt Verdächtigen für Bombenattentat von 2000 fest
Die vielen TV-Übertragungswagen am Jürgensplatz waren bloß Kulisse. Drinnen verkündeten Polizei und Staatsanwaltschaft einen Ermittlungserfolg nach fast 17 Jahren Ungewissheit. Die Behörden sind sicher, den Bombenleger vom Juli 2000, S-Bahnhof Düsseldorf Wehrhahn, dingfest gemacht zu haben. Es soll sich dabei um den stadtbekannten Neonazi und Waffenliebhaber Ralf S. (50) handeln. Er wurde am Dienstag (31.1.) in Ratingen von SEK-Beamten festgenommen. Der Haftbefehl lautet auf versuchten Mord in zehn Fällen.
Bei S. handelt es sich um einen Verdächtigen der ersten Stunde, der bereits kurz nach dem Anschlag ins Visier der Ermittler geriet. Die Düsseldorfer Antifa bezweifelte in einer Stellungnahme erneut die Theorie vom rechtsradikalen Einzeltäter. Dem heftig angeschlagenen NRW-Innenminister Ralf Jäger, SPD, kommt ein solcher Entlastungs-Erfolg gerade recht. Er ließ den Ermittlungserfolg noch vor der eigentlichen Pressekonferenz in einer eigenen Mitteilung feiern.
(v.l.) Polizeipräsident Norbert Wesseler, Staatsanwalt Ralf Herrenbrück, Leiter der Direktion Kriminalität Markus Röhrl und Udo Gerhard Moll, Ermittlungskommision im Fall Wehrhahnanschlag
Rückblick: Es ist ein schwüler Sommernachmittag am 27. Juli 2000. Um 15.03 Uhr detoniert am S-Bahnhof Wehrhahn eine Rohrbombe. Splitter und Druckwelle töteten ein ungeborenes Kind und verletzen sieben Frauen und drei Männer – zum Teil schwer. Sie besuchen eine nahegelegene Sprachschule. Sechs der zehn Verletzten kamen als Zuwanderer aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion, Menschen jüdischen Glaubens. Die vier weiteren sind Russlanddeutsche.
Sofort nach dem schweren Anschlag vermutet der damalige Bundesinnenminister Otto Schily einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Bundesaußenminister Joschka Fischer nannte „Ausländerhass“ als wahrscheinliches Motiv. Damals betrieb der Ex-Bundeswehrsoldat Ralf S. einen Militaria-Laden ganz in der Nähe des Anschlagsortes. Er geriet früh ins Blickfeld der Ermittler. Anwohner erzählten den Beamten, S. patrouilliere nachts mit seinem Hund durch die Straßen. Dabei trage er manchmal einen Kampfanzug und nenne sich „Sheriff von Flingern“.
Schon einmal in Haft
S. wurde sogar kurzzeitig festgenommen. Doch Beweise und Aussagen reichten nicht aus, um ihn dauerhaft dingfest zu machen. Auch ein Fund desselben Sprengstoffs auf den Düsseldorfer Rheinwiesen konnte daran nichts ändern. Danach schossen die Vermutungen ins Kraut. Manche sahen die organisierte Kriminalität als Urheber für den Anschlag. Im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, NSU, den mutmaßlichen Mördertrio mit Neonazi-Hintergrund, war überprüft worden, ob das Düsseldorfer Rohrbombenattentat ebenfalls ihnen zur Last gelegt werden konnte. Vergeblich.
Nach Auskunft der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hat Ralf S. selbst durch seine Großmäuligkeit dafür gesorgt, dass der längst zu den Akten gelegte Fall wieder aufgenommen wurde. S. habe zwischenzeitlich in Castrop-Rauxel in Haft gesessen. Dort soll er vor einem Mitgefangenen damit geprahlt haben, er sei für das Bombenattentat von Düsseldorf verantwortlich. Der Mitgefangene steckte die Information durch zur Polizei. Die nahm 2014 mit einer frischen Ermittler-Kommission die Detektivarbeit wieder auf. Es galt, 69.000 Seiten Papier erneut anzuschauen und mit Zeugen zu reden.
Anschlag vorab im Kameradenkreis angekündigt
Dabei fanden die neuen Ermittler Personen aus dem Umkreis von S., die frei heraus zu Protokoll gaben, dass ihr Waffenfreund und Bekannter den Anschlag vorab angekündigt habe. Er sollte eine Vergeltung sein dafür, dass sich Sprachschüler nicht länger von Glatzen beleidigen lassen wollten und deshalb in einem größerem Trupp Paroli boten.
Hinzu kam, dass eine Entlastungszeugin, die S. ursprünglich ein Alibi für den Tatzeitpunkt gegeben hatte, ihre Aussage widerrief. Das NRW Landeskriminalamt wurde zu einer „operativen Fallanalyse“ herangezogen. Dabei erarbeiteten Spezialisten sechs Zuweisungen, die alle auf Ralf S. zutrafen. Deshalb griff die Polizei jetzt zu.
Zweifel an der These vom Einzeltäter
In einer eigenen Pressemitteilung wandte sich „Düsseldorf stellt sich quer“ erneut gegen „die Einzeltäterthese“. Thomas Bose, Sprecher der Antifaschistischen Linken in Düsseldorf: „Wie beim NSU wird versucht, neonazistische Strukturen auf einige wenige oder Einzelne runterzubrechen. Dabei existierte mindestens ein Unterstützer-Umfeld. Man ging gemeinsam auf dieselben Veranstaltungen, Ralf S. Waffenladen war fester Bestandteil der Neonaziszene".
Schon 2000 ist es sehr schwer gewesen, die These des rassistischen Mordmotivs in der Öffentlichkeit zu verankern. Vertreter von Stadt, Politik und Staatsanwaltschaft hatten aber selbst im Kontext des Anschlages immer wieder die Existenz einer neonazistischen Szene geleugnet.
Neonazi-Szene in Flingern
Dabei existierten in Flingern damals die Wohnstätten vieler Mitglieder der “Kameradschaft Düsseldorf” und ihre Infrastruktur befand sich nur wenige hundert Meter entfernt, zum Beispiel die Direktleitung des “Nationale Infotelefon Rheinland” in dem Zimmer des Kameradschaftsführers auf der Birkenstraße.
„Düsseldorf stellt sich quer“ fordert eigenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag zu dem Thema. Er sollte sich auch mit der Rolle des Verfassungsschutzes NRW beschäftigen.