Düsseldorf: Dokumentarfilm „Linie 41“ geht auf Spurensuche mit Holocaust-Überlebenden
75 Jahre ist es her, dass aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf Juden deportiert wurden, unter anderem in das Ghetto von Lodz, das als Zwischenstation vor dem Transport in die Vernichtungslager diente. Aus diesem Anlass zeigte die Mahn- und Gedenkstätte am Donnerstagabend (27.10.) Tanja Cummings Dokumentation Linie 41. Für diesen Film begleitete sie Natan Grossmann auf seiner Spurensuche nach Lodz, um mehr über das Schicksal seiner Eltern und seines Bruders zu erfahren, die er im Ghetto der polnischen Stadt das letzte Mal gesehen hat.
Das Interesse war groß. Um allen Besuchern die Gelegenheit zu geben, Linie 41 sehen zu können, wurde der Film am Donnerstagabend parallel in zwei Räumen der Mahn- und Gedenkstätte gezeigt. Im Publikum saßen junge, wie ältere Menschen. Manche haben die Kriegszeit als Kinder und Jugendliche noch erlebt, andere kennen sie nur aus Erzählungen oder Dokumentationen, wie eben diese von Tanja Cummings.
Natan Grossmann zeigt ihr vor der gemeinsamen Reise nach Lodz einige alte Familienfotos. Darauf zu sehen ist ein gut aussehender Teenager. Verschmitzt lächelnd gibt Natan Grossmann zu, dass die Mädchen ihn sehr mochten. Dann wird er wieder erst und lässt seine Erinnerungen Revue passieren. In Lodz scheint irgendwie die Zeit stehen geblieben zu sein. Grossmann kehrt an den Ort zurück, an dem er mit seinen Eltern und seinem Bruder gelebt hat, bevor die Familie im Ghetto interniert wurde. Kaum etwas hat sich wirklich verändert. Selbst die Straßenbahnen, die immer noch durch die Stadt fahren, wirken wie aus einer längst vergangenen Zeit.
Natan Grossmann
Mit der Straßenbahn durchs Ghetto
Dann kamen Grossmann und Cummings an den Ort, an dem in den Kriegsjahren eine Brücke ins Ghetto führte. Unter der Brücke her fuhr die Straßenbahn Linie 41. Zeitzeugen berichteten der Filmemacherin, dass die Tram mitten durch das Ghetto ratterte. Bewaffnete Wächter sorgten dafür, dass niemand ein- oder ausstieg. Immer wieder kam es zu ungeplanten Stopps, weil sich verzweifelte Ghettobewohner von der Brücke auf die Schienen warfen. Zwischen 1939 und 1944 war Lodz das zweitgrößte Ghetto nach Warschau. Für die meisten der dort internierten 160.000 Juden war das rund vier Quadratkilometer große Areal nur die Zwischenstation vor dem Weitertransport in die Vernichtungslager von Auschwitz/Birkenau oder Treblinka.
Das ganz normale Leben
Für die nicht jüdische Bevölkerung ging außerhalb des mit Stacheldraht umzäunten Areals das normale Leben weiter. Sie stiegen in die Linie 41, um jeden Tag zur Arbeit zu fahren und verdrängten das, was sich vor den Fenstern der Straßenbahn abspielte.
Auch Jens-Jürgen Ventzki lebte zu dieser Zeit in Lodz, das von den deutschen Besatzern in Litzmannstadt umbenannt wurde. Als Sohn des damaligen Oberbürgermeisters, der dem NS-Regime verbunden war, begab auch er sich auf eine schwierige Spurensuche, die ihn mit der bitteren Wahrheit konfrontierte, dass sein Vater selbst nach dem Krieg sein Vorgehen noch verteidigte und vor Gerichten rechtfertigte.
Jens-Jürgen Ventzki und seine Frau mit der Filmemacherin Tanja Cummings (rechts)
Bewegendes Dokument
Mit Linie 41 ist Tanja Cummings ein bewegendes Dokument Zeitgeschichte gelungen. So schmerzhaft für Natan Grossmann seine Erinnerungen sind, hat er nach einer Zeit in Israel ausgerechnet in Deutschland Wurzeln geschlagen. Die Liebe war schuld. Natan hatte sich in eine Deutsche verliebt und er konnte sich auch einen feinen, spitzbübischen Humor bewahren.
Jens-Jürgen Ventzi stellte sich der Vergangenheit und den Taten seines Vaters. Beide stehen sicher auch exemplarisch für tausende ähnlich gelagerte Schicksale der Nazi-Zeit. Gerade dies macht den Film sehenswert und eindringlich. Cummings bewertet nicht und sucht auch nicht nach Erklärungen. Sie lässt dafür ihre Protagonisten zu Wort kommen und stellt Originalaufnahmen den Orten gegenüber, wie sie heute sind.
Parallel zur Vorführung in Düsseldorf, hatte Linie 41 Premieren in Warschau und Lodz. Der Film geht danach auf Kinotour – Termine finden sie hier.
Jüdisches Leben in Düsseldorf
1933 lebten in Düsseldorf ca. 5500 Juden. Etwa die Hälfte von ihnen verließ bis 1938 Deutschland. Über 1000 Menschen wurden ab 1941 aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf vor allem in die Ghettos und Sammellager Osteuropas, darunter auch Lodz/Litzmannstadt und Theresienstadt, deportiert, von dort aus wurden die meisten von ihnen in die Vernichtungslager wie Auschwitz/Birkenau, Treblinka oder Majdanek transportiert.
Heute ist die jüdische Gemeinde Düsseldorf mit rund 7500 Mitgliedern die größte in Nordrhein Westfalen und nach München und Berlin, die drittgrößte Deutschlands.
An die Geschichte und das Schicksal der Juden im Regierungsbezirk Düsseldorf erinnert seit 1987 die Mahn- und Gedenkstätte an der Mühlenstraße 29. Untergebracht ist sie im Stadthaus, das seit 1926 zunächst als Polizeipräsidium diente und ab 1933 auch Sitz der Gestapo für den Regierungsbezirk Düsseldorf war. Mit Kriegsende 1945 zogen dort städtische Ämter ein.
Mahn und Gedenkstätte Düsseldorf, Mühlenstraße 29, Düsseldorf
Telefon 0211/8996250, www.gedenk-dus.de
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr, Samstag von 13 bis 17 Uhr, Eintritt ist frei
Fotos: Tanja Cummings, Europäischer Verein für Ost/West-Annäherung