Düsseldorf – Kunstpunkte 2016: Wer schafft die meisten Ateliers?
Es soll ja Leute geben, die den Besuch der „Kunstpunkte“ mit sportlichem Ehrgeiz angehen. Als wäre es eine Rallye: Wer schafft die meisten Ateliers? Aber selbst die fittesten Fans werden wohl kaum an zwei Wochenenden 500 Künstler an 248 Standorten adäquat würdigen können. Entspannen Sie sich, meine Damen und Herren! Gehen Sie einfach ein bisschen spazieren, wo es Ihnen gefällt. Das Programm der offenen Ateliers ist auch im 20. Jahr so etwas wie ein malerisch verwilderter Garten der Möglichkeiten. Dort wächst Kreativität in gemischter Qualität neben enttäuschten Erwartungen und überraschenden Entdeckungen.
Mit den Künstlern an einem Tisch
Der Kunstmarkt hat die Sache noch nicht durchspekuliert. Es ist so gar nichts Glattes, Perfektes an den Kunstpunkten, die als non-profit-Unternehmen vom Kulturamt unterstützt werden. Die Sammler der Society wird man hier selten treffen. Dafür gibt es Originalwerke, die sich (fast) jeder leisten kann. Beim BBK zum Beispiel, dem Berufsverband Bildender Künstler, kostet eine der witzigen Schrottskulpturen des Bildhauers und Fotografen Günter Claus („Der junge Schamane bei seiner ersten Beschwörung“) gerade mal 260 Euro. Die Malerin Christine Lang-Dreyer, Absolventin der Düsseldorfer Akademie, bietet den Besuchern ihre charmant aquarellierten Skizzen für 15 bis 20 Euro an: „Was mögen Sie denn gern? Katzen, Blumen, Café-Szenen?“
"Man geniert sich fast…"
Ach, man geniert sich fast. Solche Sonderangebote weisen hin auf die Preis-Schere in der Kunst. Während prominente Werke für absurd hohe Summen gehandelt werden, kann eine Mehrheit von durchaus ambitionierten Künstlern nicht mal bescheiden vom Verkauf leben und ist auf andere Einkünfte angewiesen. Andererseits entwickelt sich jenseits der Galerien und Institutionen eine besondere Art von Freiheit. Und so lässt Michael Jonas im Hinterhofhäuschen an der Ackerstraße 15 eine Modelleisenbahn aus dem Fenster hinaus um die Blumentöpfe herumfahren. Die Installation ist ein Spiel, das Spiel eine Kunst.
Man streichelt das Papier und denkt ans Lesen
Seine Nachbarin Nicole Morello, die seit über 20 Jahren im ersten Stock eines Nebengebäudes lebt und arbeitet, hat unter ihrem gewaltigen Zimmerfeigenbaum eine Reihe von Buchobjekten auf den Tisch gelegt. Die Blätter aus Seidenpapier sind leer, die Einbände handgenäht mit deutlich sichtbaren Stichen. Man darf die Bücher berühren und sogar darin blättern. Die Künstlerin nimmt die raschelnden Geräusche auf, wir sprechen über das Buch an sich und was es für uns bedeutet. Zärtlich streichelt man das Papier und denkt an das Lesen in vordigitalen Zeiten, als jeder Roman und jede Zeitung noch ein greifbares Objekt war.
Ein Stück weiter an der ruppigen Straße mit ihren Handyläden und Imbissbuden hat sich eine vorwiegend weibliche Künstlergemeinschaft in einer ehemaligen Werkhalle eingerichtet. Haus Nr. 29a. Leise Musik spielt, Sommerlicht fällt durch die Oberfenster. Die Wasserflecken an der Decke müssen niemanden mehr beunruhigen – das Flachdach wurde von außen saniert. In friedlicher Bohème-Atmosphäre präsentieren die Künstlerinnen ihre Bilder: Marion Eyl hat „Malweiber“ der Vergangenheit mit wenigen Merkmalen auf weißen Flächen porträtiert. Martina Hengsbach arrangiert Köpfe neben monochromen Farbtafeln. Tilch Hagemann hält Erinnerungsfetzen malerisch fest.
Mit einem Sekt in der Hand
„Wollen Sie einen Sekt?“ fragt eine der Gastgeberinnen. Danke nein, wir müssen weiter – in ein über 100 Jahre altes Atelierhaus an der Sittarder Straße 5, das herrschaftlich anmutende Domizil des schon 1844 gegründeten Vereins Düsseldorfer Künstler, dem einst Wilhelm von Schadow persönlich angehörte. Glücklich, wer in diesem kaiserlichen Haus eines der Ateliers mit poetischen Emporen und schönen Aussichten ergattert hat.
Den Hinterhof auf sich wirken lassen
Dazu gehört schon seit 1979 Alexander Danov, der aus Petersburg, damals Leningrad, nach Düsseldorf kam und keine Angst hat vor russischem Pathos und gewaltigen Formaten. In einem Eckatelier beeindruckt der Peruaner Juan Collantes, ein Meisterschüler von A. R. Penck, mit Witz, Farbe und ungewöhnlicher Technik. Unter anderem druckt er Holzschnitte auf Pizzakartons – „ein stabiles Material“. Das ganze Haus ist voller Inspirationen. Im Tiefparterre zeigt Paul Schwietzke surrealistische Bilder und ein Sandrelief. Hoch unterm Dach, im fünften Stock, schweben die Figuren, die Sabine Tschiersky, ehemalige Professorin für Freie Grafik in Essen, mit unbeirrbarer Geste auf Papier setzt.
So endet ein Nachmittag
Es ist schön an der Sittarder Straße, da vergeht die Zeit wie im Flug. Schon neigt sich der Nachmittag seinem Ende entgegen. Wir schaffen es nicht mehr ins Atelierhaus an der Heuss-Brücke, wenn wir noch linksrheinisch auf dem Gelände der Böhler-Werke ganz hinten an der Hansa-Allee nach der Kunst suchen wollen. Ja, die Aufmerksamkeit wird sicher nicht gerecht verteilt. An einem Kunstpunkte-Wochenende braucht man Mut zur Lücke. Nächstes Jahr kommen wir wieder.
111 Düsseldorfer Kunstpunkte locken am zweiten Septemberwochenende
Am kommenden Wochenende, 10./11. September, sind 111 Kunstpunkte im Düsseldorfer Süden für das Publikum geöffnet – samstags von 14 bis 20 Uhr, sonntags von 12 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Eine geführte Tour mit Shuttle-Bus kostet 15 Euro.
www.kunstpunkte.de
Noch mal 111 Kunstpunkte zu entdecken – am kommenden Wochenende