Düsseldorf macht kurzen Prozess: Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht preisen die Schnelligkeit
Besuch im Saal 1.108 des Düsseldorfer Gerichtsgebäudes – bei Amtsrichterin Silke Boriss. Bei ihr fallen Urteile an diesem Mittwoch im 20-Minuten-Takt. Es sind überwiegend Eigentumsdelikte – Taschendiebstahl, Kofferdiebstahl, Ladendiebstahl. Alle Angeklagten brauchen einen Dolmetscher – sie stammen aus Marokko und Algerien. Alle drei haben ihre Taten bereits vor dem Haftrichter zugegeben. Damit wird ihnen nun der kurze Prozess gemacht, in der Sprache der Juristen: das „besonders beschleunigte Verfahren mit Hauptverhandlungshaft“.
Der Düsseldorfer Polizeipräsident Norbert Wesseler
Seit dem 1. März 2015 läuft dieses Experiment von Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht in Düsseldorf. Zwischen Festnahme des Täters und Urteil soll maximal eine Woche liegen. 133 Fälle wurden innerhalb der ersten fünf Monate zur Beschleunigung vorgesehen, 119 Urteile fielen tatsächlich im Hau-Ruck-Verfahren. Freisprüche gab es dabei keinen einzigen. Mehr als die Hälfte der Urteile lautete auf Freiheitsstrafen. Polizeipräsident Norbert Wesseler, der leitende Oberstaatsanwalt Thomas Harden und die Präsidentin des Amtsgerichts, Angela Glatz-Büscher, lobten sich und alle Beteiligten am Donnerstag für den neuen, wesentlich schnelleren Takt.
Alle Beteiligten mussten ihre Arbeitsabläufe ändern
Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter müssen anders arbeiten als bisher. Alles muss schneller gehen: Ermittlungen, Zeugenbefragung, Protokolle schreiben. Aktentransport. Klageschrift verfassen. Während dessen sitzt der Täter in Haft, um den schnellen Prozess nicht daran scheitern zu lassen, dass sich ein gemeiner Dieb über sieben Berge davonmacht. Polizei und Justiz mussten alte Abläufe kappen, neue ausprobieren. Das Ziel: Täter zusätzlich abzuschrecken; den Opfern von Verbrechen schneller Genugtuung zu verschaffen und Polizeibeamten ein Stück von der gefühlten Sinnlosigkeit ihrer Tagesarbeit zu nehmen.
Nicht jede Straftat ist geeignet für das "besonders beschleunigte Verfahren"
Dabei ist nicht jede Straftat für das besonders beschleunigte Verfahren geeignet. Die Sache muss einfach oder die Beweislage klar sein. Es muss binnen einer Woche zur Hauptverhandlungen, denn ein Mensch sitzt ohne gültiges Urteil in Haft. Als Strafe soll nicht mehr als ein Jahr oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht kommen. Also kein kurzer Prozess bei schweren Straftaten. Und: Es müssen Umstände vorliegen, die befürchten lassen, dass ein Angeklagter nicht zur Hauptverhandlung erscheinen wird.
Die Präsidentin des Amtsgerichts, Angela Glatz-Büscher
„Mir ist wichtig, dass die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren genauso sorgfältig abläuft wie in jedem anderen Verfahren auch“, betont die Amtsgerichtspräsidentin Angela Glatz-Büscher. Der Besuch im Gerichtssaal am Tag zuvor hatte einen anderen Eindruck vermittelt: Schematisch werden die Angeklagten befragt – mit immer denselben Fragen. Dabei ist Amtsrichterin Silke Boriss sehr bemüht, alle Formalien zu erfüllen – bis hin zu dem Hinweis, es sei möglich, gegen das gerade gehörte Urteil in die Berufung oder die Sprung-Revision zu gehen. Augenscheinlich verstanden hat kein Angeklagter, was damit gemeint war. Dann kommt schon der nächste.
Ausweitung auf randalierende Fußballfans?
Der kritische Eindruck im Gerichtssaal entsteht allerdings auch dadurch, dass die Sachverhalte wirklich klar, die Täter geständig sind. So brauchen nur selten Zeugen gehört zu werden. Rauschgiftverfahren seien in der Regel nicht zur Beschleunigung geeignet, weil häufig Gutachter bemüht werden müssen. Kurzer Prozess gegen randalierende Fußballfans? „Danach werde ich häufig gefragt“, sagt Polizeipräsident Norbert Wesseler. „Da es sich dabei aber meist um tumultartige Szenen handelt, ist es auch hier mit der Eindeutigkeit schwierig.“
Der Leitende Oberstaatsanwalt Thomas Harden
Oberstaatsanwalt Thomas Harden wies darauf hin, dass die zusätzliche Arbeitslast in seiner Behörde – wie auch bei Polizei und am Gericht – mit einem unveränderten Personalschlüssel bewältigt wird. Irgendwann werde man sich das anschauen müssen.
Anwalt kritisiert: "Die Beschuldigtenrechte werden verkürzt"
Der auf das Strafrecht spezialisierte Düsseldorfer Anwalt Thomas Deckers kritisierte das „besonders beschleunigte Verfahren mit Hauptverhandlungshaft auf Anfrage von report-D: „Hierbei besteht die große Gefahr, dass Beschuldigtenrechte verkürzt werden. Deshalb halte ich dies für bedenklich.“ Allerdings habe er bisher keine eigenen Erfahrungen mit dem Düsseldorfer Modell machen können. Bei der Düsseldorfer Rechtsanwaltskammer gibt es laut einer Sprecherin keine „abgestimmte Position“ zum schnelleren Takt der Justiz.
KOMMENTAR
Justitia ist keine Sprinterin
Die Volksseele jubelt. Kurzer Prozess – das finden alle prima, solange es andere betrifft. Wenn man dann mal selbst angeklagt ist, hätte man schon gerne die größtmögliche Sorgfalt bei der Hauptverhandlung und die bestmögliche Verteidigung. Warum sollen das Wohnungslose, Kleinkriminelle und Asylbewerber anders sehen?
Das Düsseldorfer Beschleunigungsmodell hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Polizeipräsident Norbert Wesseler berief sich auf Hinweise aus der Düsseldorfer Justizvollzugsanstalt, wo Hauptverhandlungshäftlinge angeblich aggressiver als früher wahrgenommen werden. Sollte heißen: Die abschreckende Wirkung ist da. Zugleich hieß es, nur ein ganz geringer Anteil der Strafverfahren komme für die Beschleunigung in Frage. Das Gros läuft wie bisher seinen Gang.
Wer den schnelleren Takt von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz gut findet, nimmt den Abbau von Beschuldigtenrechten hin. Die Unschuldsvermutung wird ausgehebelt – denn unter Umständen sitzt jemand tagelang im Gefängnis, der am Ende nur eine Geldstrafe zu zahlen hat. Einen Pflicht- oder Wahlverteidiger dürfen sich die Angeklagten wünschen. Doch ob es dem in der Kürze der Zeit gelingt, seine Verteidigung sorgfältig vorzubereiten?
Noch sind alle Fälle so ausgesucht, dass kein beschleunigt Verurteilter bisher Rechtsmittel eingelegt hat. Bei den Initiatoren spürt man daher die Lust auf mehr. Doch Justitia ist die Frau mit der sorgfältig austarierten Waage und keine Sprinterin.