Miró lockt Düsseldorf: Von der scheuen Tänzerin und dem finsteren Künstler
Die „Spanische Tänzerin“ ist scheu. Man sieht sie erst auf den zweiten Blick. Ein paar Linien auf zartblauem Grund, ein Kreis, ein Kopf, vielleicht. Dazu ein gelber Trichter, Schallwellen – ein „Ole“ schwirrt durch die Luft. Das grenzt an Poesie – Malerei als Poesie. Und schon ist man mitten in der fabel- und wundervollen Welt des spanischen Künstlers Joan Miró (1893-1983), den man derzeit in der Kunstsammlung NRW (wieder-)entdecken kann. Rund 110 Gemälde, Zeichnungen und Malerbücher fügen sich zur Retrospektive.
Nachdenken mit Pinsel und Farbe: Joan Miró hat viel gelesen
Die Sommerausstellung der Landesgalerie hat sich aber mehr vorgenommen. Sie will den Interesse auf einen anderen Miró lenken, als den, den man von tanzenden Strichen, seltsamen Tierchen und Sternen kennt. Kuratorin Marion Ackermann, Direktorin des Museums, stellt die Verbindung zwischen seiner Kunst und der avantgardistischen Literatur seiner Generation in den Mittelpunkt, was manchen neuen Blick ermöglicht. Sogar eine Bibliothek ist aufgebaut, die der des Künstlers nachempfunden ist. Hier finden sich Goethe, Baudelaire, Nitzsche, der Surrealist Alfred Jarry und Krimi-Autor Edgar Wallace, aber auch ein Bildband Fantomas.
Ein leidenschaftlicher, manischer Leser
Miró war leidenschaftlicher, manischer Leser. Im Rahmen der Ausstellung führt Joan Punyet Miró, sein Enkel, durch die Schau. Er verrät, dass sein Maler-Großvater immer sorgfältig die Vorhänge zuzog, um seine Bücher gegen die Sonne zu schützen. Schon als junger Mann verschlang er Gedichte und Prosa, bis zu seinem Tod nutzte er in seinem Atelier Pausen zum Lesen. Auf dem Bild „Nord-Süd“, das Miró als 24-Jähriger malte, taucht ein Goethe-Band auf, außerdem die Titelseite der Literatur-Zeitschrift „Nord-Süd“. Auch in späteren Jahren integrierte er neben Symbolen und Chiffren Buchstaben und Wortfragmente in seine Gemälde.
Im Strudel des Surrealismus
Als 27-Jähriger hatte Miró seine Heimat Barcelona verlassen und war nach Paris gegangen. Hier suchte er die Nähe seines Idols Picasso, geriet schnell in den Strudel von Dadaismus und Surrealismus, damals unerhört neu, jung und wild. Der Künstler traf Literaten wie Tristan Tzara, Max Jacob, Pierre Reverdy, Paul Eluard und André Breton. Man freundete sich an, stellte Satz und Syntax, Gott und die Welt in Frage. „Miró ist wahrscheinlich der Surrealistischste von uns allen“, bemerkte Breton 1928. Dafür spricht mancher Bilder-Titel: „Der Gesang des Hahns durchlöchert einen Schädel, das Mondanbellen des Hundes weckt den Hahn des katalonischen Bauern auf, der auf dem Tisch neben dem Porrón steht“ – das klingt eher nach einem durchgeknalltem Prosagedicht.
Bildgedichte, so leicht wie Kinderzeichnungen
Miró selbst bezeichnete sich als Dichtermaler. Intellektuelle Debatten fesselten ihn, sein Werkzeuge blieb die Farbe. 1923 gelang ihm der Durchbruch. Serien von Bildgedichten entstanden, die in ihrer Leichtigkeit an Kinderzeichnungen erinnern und bis heute Kaffeetassen zieren. „Sterne im Geschlecht von Schnecken“ heißen sie, „Ein Stern liebkost die Brust einer Schwarzen“ oder auch nur „Liebe“: tanzende Linien, ein zartes Schwingen. Der Blick fällt auf ein blitzblaues Gemälde, das noch blauer pulsiert als das Blau Yves Kleins, das erst später entstanden ist. Immer wieder treten magische Symbole wie Stern, Auge, Mond, Vogel, Kopffüßler, auf, die sich in immer neuen Zusammenhängen einer Deutung entziehen. In einem Film kann man einen bereits weißhaarigen Maler beim Arbeiten zusehen, wie er zeichnet, kratzt und schabt, wie er mit dem breitesten Kinderlächeln eine grell trötende Flöte vorführt, die sich in einem Touristen-Mitbringsel befindet, das er in einem Regal aufbewahrt. Schönheit, sagt er, stecke in den banalsten Dingen. Zum Ärger seiner Frau lasse er alles in seinem Atelier herumliegen. „Plötzlich entdecke ich Figuren in den Gegenständen.“
Zu bekannten und unbekannteren Gemälden, viele stammen aus dem Eigenbestand der Kunstsammlung, andere aus Sammlungen in London, New York und Barcelona, werden Künstlerbücher, wahre Schmuckstücke, präsentiert; winzig kleine, atlantengroße, und sicher einige der schönsten des 20. Jahrhunderts. Etwa „Parler Seul“, das zu Texten von Tristan Tzaa entstand oder die Illustration eines Theaterstücks.
Selbstportrait des Joan Miró – in der Ausstellung in Düsseldorf
Aggressiv, impulsiv – ein kurriges Spätwerk
Aber die Ausstellung zeigt auch einen finsteren Künstler. Miró war überzeugter Katalane und Franco-Gegner. In den 40er Jahren halten zerrissene Gestalten Einkehr auf seinen Gemälden. Anspielungen auf die politische Lage. Miró trat stets für die Bewahrung seiner Kultur ein, solidarisierte sich später mit den Studentenbewegungen von 1968, protestierte gegen die Kommerzialisierung der Kunst. Ein knurriges düsteres Spätwerk entstand, das in seiner Aggressivität und Impulsivität an den US-Künstler Jackson Pollock erinnert. Dass Miró schließlich zur Bilder-Dichtung zurückgekehrt ist, mag man sich gern vorstellen. Mit seinen Sternen, Monden und Wolken muss er mit 89 Jahren auf Mallorca verstorben sein.
„Miro – Malerei als Poesie“ bis 27. September Kunstsammlung NRW, Grabbeplatz 4. Öffnungszeiten Di-Fr 11-18 Uhr, jeden ersten Mitwoch im Monat bis 22 Uhr. Eintritt 12 Euro (ermäßigt 10 Euro), Gruppen (ab zehn Personen): pro Person 9 Euro. Katalog 29,90 Euro. Alle Infos www.kunstsammlung.de, Tel. 0211 8381204
Die Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz in Düsseldorf
Fotos: Kunstsammlung NRW