Bilanz: Was haben die großen Bauprojekte gebracht?
Der Düsseldorfer Dreikampf besteht aus den Disziplinen Auto-Stillstand, Extremkuscheln in überfüllten Bussen und Bahnen sowie einem Riesenslalom zwischen Baustellenzäunen. Gewinner ist, wer es mit sauberen Schuhen bis vors Rathaus schafft. Eine Bilanz.
Hinter den roten Backsteinmauern starteten Rat und Verwaltung all die Großprojekte, die die Stadt in den vergangenen 15 Jahren umgekrempelt haben: Allen voran der Kö-Bogen und die Wehrhahnlinie, eine mehr als 700 Millionen Euro teure Operation am offenen Herzen der Stadt. Nun geht es für viele Projekte auf die Zielgerade. Am 20. Februar 2016 soll die Wehrhahnlinie, die U-Bahn zwischen Bilk und der östlichen City, ihren Fahrbetrieb aufnehmen. Zeit, Bilanz zu ziehen: Was hat die Buddelei gebracht?
In Umfragen geben die Bürger darauf eine vorsichtig positive Antwort. Etwas mehr als die Hälfte der Interviewten, 52 Prozent, findet, dass sich Düsseldorfs Face-Lifting gelohnt hat. Das ist ein stabiler Prozentsatz für die Liebe auf den ersten Blick. Obendrein scheint der Wert ausbaubar zu sein: Ein gutes Fünftel der Bürger gibt an, noch unentschlossen zu sein. Wenn die sich erst einmal an das neue Düsseldorf gewöhnt haben, gilt für die Stadtplaner: „Wir haben den Bogen raus!“ Nur 16 Prozent der Befragten sagt: Nein, all die Baustellen haben sich nicht gelohnt.
Die Zustimmung der Altersmilden
Wie sieht der typische Befürworter der schönen neuen Shopping-Welt in der Mitte der Stadt aus? Es handelt sich dabei eher um eine Frau als einen Mann, jünger als 40 Jahre und tendenziell links des Rheins wohnend. Dem stehen die Kritiker gegenüber: Männer aus dem Düsseldorfer Norden, die zwischen 50 und 59 Jahre alt sind. Das sind natürlich Kunstfiguren, konstruiert aus den Details zur Umfrage. Interessanter Randaspekt: Der Düsseldorfer scheint zur Altersmilde zu tendieren. Bei den ältesten Befragten, Menschen jenseits der 70, steigt die Zustimmung zum neuen Düsseldorf dann wieder.
Vor einem Trugschluss sei allerdings gewarnt. Aus der Fragestellung zu folgern, dass nun erst einmal Schluss ist mit Umleitungen und Matsch-Pfützen, wäre verkehrt. Längst diskutieren Rat und Verwaltung die nächsten Großprojekte: Das Andreas-Quartier wächst auf dem Gelände des ehemaligen Amts-/Landgerichts an der Mühlenstraße augenscheinlich als Fremdkörper in die Altstadt hinein – mit einem Hotel, Luxuswohnungen und Läden.
Der Kö-Bogen II versetzt die Bauarbeiter auf den erweiterten Gustav-Gründgens-Platz, wo ein treppenförmiger Großbau geplant ist und eine Markthalle mit Eventmöglichkeit im Obergeschoss. Solche mediterranen Markthallen sind in zahlreichen Städten – Berlin, Alexanderplatz, Zürich, Bern und andere – bereits gescheitert und werden dort zum Teil wieder abgerissen. Die Düsseldorfer Entscheider möchten dennoch lieber ihre eigenen Erfahrungen machen. Düsseldorfs Mitte bleiben die Bagger und Kräne auch in den kommenden Jahren erhalten.
Dreieck der Vernachlässigung
Vernachlässigt hat die Stadtplanung das Dreieck Hauptbahnhof, Berliner Allee, Graf-Adolf-Straße. Ausgehend vom mittlerweile geschlossenen Ex-Horten, dann Kaufhof, braucht eine in die Jahre gekommene Innenstadtlage mehr als nur einen Stromstoß aus Stadtplaners Herz-Lungen-Maschine. Die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes ist dabei ideales Diskussionsthema für Bürger, Experten und Politiker. Niemand ist wirklich betroffen, aber alle können mitreden.
Eigentlich aber müssten sie das Viertel als Ganzes sehen und für junge, meist als Singles, manchmal als Pärchen lebende Hochleistungsnomaden ausbauen, die für zwei, maximal drei Jahre in einer Stadt bleiben und dann irgendwo anders hin versetzt werden. Sie wollen citynah, schick und mobil ohne Auto leben.
Selbst im Vorzeige-Medienhafen an der Kaistraße findet sich eine Zahnlücke im hochgelobten Architekturmixmix, die nach weiterer Inspiration lechzt. Zudem müssten die vom neuen Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) publikumswirksam ins Visier genommen Stadtteile dringend attraktiver gemacht werden. Die „Garath 2.0“ genannte Aufwertung der Trabantenstadt im Süden harrt der Konkretisierung. Der Düsseldorfer Norden braucht mit den künftigen Großprojekten U 81 (Freiligrathplatz-Flughafen) als Brücke und dem Ausbau der Regionalbahn RXX viel mehr Lärmschutz.
Pure Verdrängung in Flingern-Nord
Zudem zeigt das Beispiel Flingern-Nord, wie rasch alteingesessene Bewohner und Läden verdrängt werden, wenn ein Stadtteil für eine Zeit lang als hip identifiziert worden ist. Eine Fehlentwicklung durch einen Mangel an planerischen Leitplanken. Bilk hat es da etwas besser gemacht.
Die Selbstkritik zum Schluss: Auch in diesem Text ging es oft um Steine und Glas, und zu selten um Menschen und Kunst. Die Professorin für Baukunst an der Düsseldorfer Kunstakademie, Nathalie De Vries, hat es so gesagt: „Eine Stadtmitte ist tot, wenn man dort nur arbeiten und shoppen, aber nicht wohnen kann.“
Foto: Die Developer